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Von Kleinasien und dem Sudetenland

Im Buch von Louis de Bernières geht es um das Verhältnis von Türken und Griechen in Kleinasien. Der Bevölkerungsaustausch von Griechen und Türken bald nach dem Ersten Weltkrieg war in Wirklichkeit eine Vertreibung, die weiteren Vertreibungen den Weg ebnete.

Die Versuchung der gerade (militärisch) Erfolgreicheren, ihre Macht gnadenlos zu missbrauchen und damit eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Gang zu setzen, war enorm. Dass die Ackermann-Gemeinde versucht hat, sich dieser Logik zu widersetzen ist ihr größtes Verdienst, auch wenn es bei ihr ebenfalls Reibungsverluste gab.

Louis de Bernières verdeutlicht in seinem Buch den Wahnsinn des Nationalismus, die unheilvolle Rolle, die manche Religionsvertreter spielten, in einem Roman, der mit ausgezeichnet recherchierter Zeitgeschichte verwoben ist. Im fiktiven Städtchen Eskibahce („Altgarten“) im Südwesten der heutigen Türkei, in dem man Karmylessos/Levissi/Kayaköy wiedererkennt, zerstört die große Geschichte einen kleinen, gewachsenen Kosmos von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft mit seinem Reichtum und seinen Schwächen. Bernières kann sich in ein kleines Mädchen, eine alte Frau, einen muslimischen Hodscha und einen orthodoxen Priester hineinversetzen und aus ihrer Perspektive ein Bild zusammenfügen. Er zeigt Brutalität und Realität des Krieges und die Zartheit einer Kinderliebe. Es ging auch dort um das Verhältnis von Türken und Griechen in Kleinasien (Äolien), die griechische Katastrophe (das Ende des Griechentums in Kleinasien) und die vorhergehende griechische Hybris. Louis de Bernières, der trotz seines französischen Namens ein britischer Autor ist, hatte wohl durch Erzählungen seines Onkels einen persönlichen Bezug zu diesem Thema. Er beschreibt Wirklichkeit in der poetischen Gestalt des Städtchens Eskibahce, verbunden mit Kapiteln über den Aufstieg von Kemal Pascha, Atatürk. Bernières zeigt Reichtum und Tragik einer Symbiose, wie wir sie auch im böhmisch-mährisch-schlesischen Raum kennen gelernt haben.

Es handelt sich um ein berührendes und zugleich wichtiges Buch. Es lässt sicherlich im Verhältnis von Osmanen, Türken und Griechen Parallelen zu Österreich-Ungarn, Tschechen und Deutschen erkennen. 

Reinhard Forst

Louis de Bernières: Traum aus Stein und Federn, aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, Fischer Verlag Frankfurt 2005, 670 Seiten, ISBN 978-3-10-007125-5, antiquarisch