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Begegnungstage in Pilsen: 7.-10. August 2025

Wie wollen wir (zusammen) leben?

Vom 7. bis 10. August luden die Ackermann-Gemeinde zusammen mit der Sdružení Ackermann-Gemeinde zu den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen nach Pilsen ein. Unter dem Motto „Wie wollen wir (zusammen) leben?“ kamen insgesamt ca. 300 Personen aller Generationen zusammen, umd die ostmitteleuropäische Nachbarschaft mit Leben zu füllen und gemeinsam zu gestalten. 

Mit Podiumsgesprächen, Arbeitskreisen, Exkursionen, einer Deutsch-Tschechischen Kulturnacht, Gottesdiensten und vielem mehr bot das Programm einen bunten Blumenstrauß an, das das deutsch-tschechische Miteinander auf vielerlei Weise vertiefte und erfahrbar machte. Außerdem feierte die Junge Aktion der Ackermann-Gemeinde ihr 75-jähriges Bestehen und präsentierte ihr neues Logo. Lesen Sie hier die detaillierten Berichte im Einzelnen:

Konsens und Toleranz, klare Kante gegen Intoleranz

„Wie wollen wir (zusammen) leben“ war in Pilsen Thema bei den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen

 

Mit dem Thema „Wie wollen wir (zusammen) leben“ beschäftigten sich in Pilsen vom 7. bis 10. August die Deutsch-Tschechischen Begegnungstage der Ackermann-Gemeinde und ihrer tschechischen Schwesterorganisation Sdružení Ackermann-Gemeinde. Der Veranstaltung wohnten ca. 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Tschechien bei. Unter mehreren Aspekten wurde die Thematik bei Vorträgen und Podiumsgesprächen erörtert.

Unter dem Motto „Willkommen in Pilsen“ stand der Eröffnungsabend, bei dem Johanna Lüffe per Speeddating schon mal Bewegung in die Tischreihen brachte und dadurch neue Konstellationen der Generationen schaffte – auch ein Herangehen an die Fragestellung der Tagung. Moderator Rainer Karlitschek erinnerte an das Bundestreffen der Ackermann-Gemeinde im Jahr 2009 ebenfalls in Pilsen und an die Begrüßung des damaligen Geistlichen Beirats Anton Otte. Die Musiker der Kapelle „The Dixie Hot Licks“ interpretierten das Tagungsthema dahingehend, dass sie in ihrer von Zusammenspiel und Soli geprägter Musik gleichermaßen bestimmte Regeln verfolgen müssen, aber auch viele Freiheiten haben – mit Respekt gegenüber dem Anderen als eine wichtige Basis.

Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen - Zunahme von Meinungsverschiedenheiten, Krisen, scheinbares Auseinanderdriften in der Gesellschaft, politische Spannungen, Abnahme der Bereitschaft zum konstruktiven Streiten - nannte der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Dr. Albert Peter Rethmann drei entscheidende Faktoren, die künftig für das Zusammenleben wichtig sein werden: „In den Gesellschaften haben wir es zunehmend mit größerer Vielfalt zu tun. Das sollte aber kein Problem sein, wenn Vielfalt als Chance und Reichtum genutzt wird. Vielfalt heißt auch, Unterschiede und Veränderung auszuhalten und zu gestalten.“ Damit biete sich, so der Bundesvorsitzende, die Chance zur Weiterentwicklung. Mit dem zweiten Kriterium sprach er die Auseinandersetzungen an. „Es gibt Konflikte in und zwischen den Gesellschaften bzw. Staaten. Wir brauchen weiterhin den Geist der Versöhnung – und Geduld als den festen Grund, auf dem wir diese Versöhnung leben können.“ Dabei dürfe niemand zurückgelassen werden, auch nicht der politische Gegner. Zentrale Werte sind für Rethmann Konsens und Toleranz sowie eine „klare Haltung gegenüber Intoleranz“. Als dritten Punkt nannte er die „Übernahme von Verantwortung“ im Sinne von Engagement für die Freiheit – am besten in Gemeinschaft. „Räume schaffen, in denen sich verschiedene Gruppen treffen und etwas gestalten können“, konkretisierte er. So ist für ihn die Ackermann-Gemeinde „eine lebendige Werkstatt für das, was wir in der Gesellschaft brauchen – eine Werkstatt für Versöhnung, die aus der Geschichte lernt. Und ein Labor für Vielfalt, in dem die Vielfalt miteinander gelebt wird. Freundschaft spült die nationalen, sozialen und ideologischen Grenzen hinweg“, stellte Rethmann fest und motivierte zum „Mut zur Begegnung“ sowie zum „Vertrauen, dass Versöhnung möglich ist.“

Auf die vielfältigen Impulse vor allem an den Grenzen Tschechiens zu Sachsen, Bayern und Österreich sowie die „vielen Menschen, die auf dem Gebiet der Böhmischen Länder gelebt haben und deutsche Wurzeln haben“, verwies in seiner Begrüßung der Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde Monsignore Adolf Pintíř Er sprach auch von der „Suche nach einer gemeinsamen Sprache“, die aber weniger durch die Grammatik und ein Wörterbuch charakterisiert werde. „Es geht um das gemeinsame Herz, um das Zusammenleben – um die Herzenssprache“, betonte Pintíř. Damit ließen sich viele Dinge besprechen und klären.

In seiner Sprache, der Egerländer Mundart, erläuterte Richard Šulko (Hausname „Måla Richard“) Aspekte seiner Familiengeschichte und trug mit seinem Sohn Vojtěch mehrere Lieder und Gedichte vor. Per Videobotschaft grüßte der Deutsche Botschafter Andreas Künne die Versammlung und dankte der Ackermann-Gemeinde für ihre seit Jahrzehnten währende Versöhnungsarbeit. „Vieles, was heute selbstverständlich ist, wurde bei Treffen und Veranstaltungen in Deutschland und Tschechien aufgebaut“, konkretisierte Künne. Angesichts der Herausforderungen – Krieg in der Ukraine, Klimawandel, Gefahren für die Demokratie – appellierte er, am gemeinsamen Europa weiterzuarbeiten. „Die Ackermann-Gemeinde kann wesentlich dazu beitragen“, fasste der Botschafter zusammen.

Nur drei Worte bzw. damit verbundene Handlungen nannte der Pilsener Bischof Dr. Tomáš Holub in seinem Grußwort. „Suchen, zuhören, sich ändern!“ Und das auch dahingehend, „bereit und offen zu sein, dass es etwas in und unter und über uns ändert.“ Vielleicht auch inspiriert vom Heiligen Geist, wie der Bischof auf Nachfrage des Moderators Rainer Karlitschek ergänzte.

Das Tagungsthema stand dann am Freitagvormittag im Mittelpunkt. Zunächst mit einem Impulsreferat des früheren Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei (2001 - 2004), ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten (2002 – 2004) und EU-Kommissars für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit (2004 - 2010) Vladimír Špidla. Dialog und Dialogfähigkeit seien „ganz wesentlich für das Überleben der heutigen Zivilisation“, stellte er einleitend fest. Ebenso nannte er die R-Strategie (hohe Reproduktionsrate, Erschöpfung der Ressourcen) und die K-Strategie (Leben im Einklang mit der Umwelt). Aktuell befinde sich die Menschheit zwischen den beiden Strategien. „Wir müssen nicht um den Menschen als eine Art bangen, sondern Angst um die Kultur und die Zivilisation haben“, konkretisierte Špidla. Denn Vieles sei auf Macht ausgerichtet, nur durch Macht seien beispielsweise nationalistische Strukturen durchzusetzen, die meist mit Unterordnung – und nicht mit Gleichheit – verbunden seien. Der Politiker betonte, dass jeder Mensch einen Wert habe, der Dialog daher „die einzige Möglichkeit des Überlebens“ darstelle – und dies nicht nur auf der bürgerlichen und individuellen, sondern auch auf der institutionellen bis hin zur globalen Ebene. Aufgrund der von der Evolution angelegten Fähigkeit des Menschen zur Kooperation in Gruppen seien bestimmte Institutionen zur Regelung der Abläufe und Kommunikation nötig. Entstehen können aber auch Subkulturen oder unterschiedliche Sichtweisen einer Situation und damit „unversöhnbare Welten in der persönlichen Umgebung“. In diesem Kontext verwies Špidla auf die Künstliche Intelligenz mit ihren Folgen für die Gesellschaft, zum Beispiel die „Entmenschlichung des Dialogs“ und die Manipulierbarkeit durch Algorithmen und (Filter)Blasen. „Menschen verlieren die Fähigkeit, einfach nachzudenken (…) das ist das Ende des Dialogs. Zwischenmenschliche Beziehungen werden beschädigt und führen zu Einsamkeit“, fasste er diese Gedanken zusammen. Demnach stehe auch das Konzept des Nationalismus in Kontrast zum Dialog. „Für uns Europäer ist daher die EU sehr wesentlich, sie hat versucht, diesen Aspekt zu überwinden. Trotz Traumata entstand 1950 eine Struktur, in der Gewinner und Besiegte auf Augenhöhe die Zukunft gestalten konnten. Die EU hat sich als effizientes System etabliert“, lenkte Špidla auf die politische Ebene über und empfahl eine Institution wie die 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl für die globale Ebene. Grundlegend für ihn sind ferner die Prinzipien der Menschenrechte, um die immer gekämpft werden müsse, die Einbeziehung auch der Natur in den Dialog und die Abwendung vom Konsum (Opfer bringen) – insgesamt die „Suche des allgemein Guten“. Bewusst ist ihm, dass auch beim Dialog Konflikte nicht vermieden werden können. „Der Dialog bedeutet viel Arbeit, sich auf eine gemeinsame Sprache zu einigen. Am besten erfolgt er bei Begegnungen von Menschen und nicht nur über Soziale Medien“, empfahl er zum Abschluss seines Impulses.

Bei der Podiumsdiskussion bezogen darüber hinaus Kathrin Freier-Maldoner (Leiterin von Tandem - Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch Regensburg), Daniel Herman (Kulturminister a.D. und Honorarkonsul des Fürstentums Liechtenstein in der Tschechischen Republik) sowie der Pilsener Salesianerpater Dr. Michal Kaplánek zum Thema Stellung. Für Freier-Maldoner sind vor allem persönliche Begegnungen von Kindern, Jugendlichen und Fachkräften wichtig, zumal in einer Lebensphase, wo es noch ein größeres Potenzial zur Vertiefung des Dialogs gibt. Wenn dann in einem weiteren Schritt die Verständigung auf eine Sprache erfolgt, könne „eine Tiefe im Dialog“, eine andere emotionale Ebene erreicht werden. Bei Jugendlichen und Auszubildenden könnten über Eltern, Freunde oder Medien vermittelte Bilder durch Begegnungen, Austausch, Freundschaften und Gemeinschaftserfahrungen aufgelöst und revidiert werden.

An seine Rede als erster tschechischer Minister beim Sudetendeutschen Tag 2016 erinnerte Herman ebenso wie an den jüdischen Teil seiner Familiengeschichte. „Zuhören, immer versuchen, die Welt aus der Perspektive des anderen zu sehen“, empfahl er – auch im Hinblick auf ethnisch-politische Hintergründe. „Ich habe viele Freunde unter den Heimatvertriebenen und -verbliebenen. Da sind schwierige Schicksale dabei“, schilderte der frühere Minister. Für ihn gilt daher, nicht auf die Ethnizität oder die Klasse zu schauen, sondern in erster Linie über die menschliche Perspektive den Zugang zu schaffen. „Eine demokratische Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn wir bestimmte Prinzipien achten – wie etwa die zehn Gebote. Alle Gesetze der Welt entsprechen diesen zehn Geboten. Sie sind die Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft“, betonte Herman. Und er wandte sich gegen die Fixierung von Menschen auf ihre Nationalität oder Religion. „Es gibt nur konkrete Menschen mit konkreter Verantwortung!“

Als Salesianer hat Michal Kaplánek die Gewinnung junger Menschen als Aufgabe. „In den 1990er Jahren war es einfacher. Die Gruppen waren noch kompatibel“, blickte er zurück. Ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre habe sich zunehmend Englisch als Sprache zur Kommunikation durchgesetzt, heute seien die gegenseitigen Erwartungen differenzierter. Daher müsse die Motivation höher angesetzt werden. Die Grundüberzeugung der Kinder und Jugendlichen auf beiden Seiten müsse lauten: „Ich will jemanden treffen, begegnen.“

Zum Abschluss stellte Moderator Dr. Albert-Peter Rethmann Vladimír Špidla die Frage, was passieren müsse, „dass die Populisten den Kampf um die Macht nicht gewinnen. Wo sehen Sie solche Kräfte und Machtstrategien für den Dialog?“ Špidla riet zu Bemühungen, „um eine soziale Teilung der Gesellschaft zu vermeiden“. Und als zweiten Aspekt nannte er die Eigenschaft des Menschen als Konformist, denn ohne Konformismus „wäre es nicht möglich, Gesellschaften zum Funktionieren zu bringen“, führte Špidla aus. Genau in einer solchen Konstellation sei es möglich, auch andere Einstellungen akzeptieren zu können – die Basis für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Ein anderer Aspekt, nämlich „Sozial-ethische Aspekte des Zusammenlebens“, stand am Samstagvormittag auf dem Programm. Moderiert von Dr. Christian Geltinger diskutierten Dr. Albert-Peter Rethmann und Prof. Dr. Gregor Buß (Professor für Katholische Theologie, Anthropologie, Ethik und Soziallehre an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn). Die Werte, vor allem die auch von der Ackermann-Gemeinde vertretenen christlichen Werte brachte Buß - auch als Basis für Dialog – ins Spiel. „Was sind Werte, wie finden wir unsere Werte?“, fragte er gleichermaßen den Gesprächspartner und ins Plenum. Werte sollten über das Individuum hinaus Geltung haben und verbinden. Daraus könne dann zum Beispiel das Interesse an anderen wachsen, „die mir vielleicht etwas zu sagen haben“, vertiefte der Theologieprofessor. Vorsicht sei jedoch angebracht bei der Klärung von Wahrheit und erfundener Wahrheit oder bei Themen mit vielen (Schein)Argumenten. Andere Stimmen in den Diskurs hereinzuholen, ist für Buß ebenso von Bedeutung – so etwa von anderen Konfessionen und Religionen. „Hier haben wir ein Riesenpotenzial, überall gibt es Menschen guten Willens. Es geht besonders darum, Argumente auszutauschen und Allianzen zu bilden“, fasste Buß zusammen.

Für Rethmann hängen Werte auch mit der eigenen Lebensgeschichte, mit Erfahrungen und aktuellen Gegebenheiten zusammen – „Werte als Perspektive für ein gelingendes Leben“, so der Bundesvorsitzende. „Werte sind Werthaltungen, aus individuellen Optionen und Erfahrungen wird ein Aushandlungsprozess“, konkretisierte Rethmann. So könne die Haltung der Offenheit gegenüber anderen dem Bewahren des Eigenen entgegenstehen. Als eine häufig genutzte Aussage nannte er den Satz „Dann denkt das mal zu Ende!“, womit ein Prozess des Argumentierens und Begründens in Gang gesetzt wird. „Spannend wird es, wenn wir uns fragen müssen, wie wir mit bestimmten Fakten umgehen“, ging Rethmann auf die Thematik Fake news usw. ein. Damit hänge auch der Aspekt „Macht“ zusammen, konkret die Frage, „wie wir eine Macht in unserer Gesellschaft unterstützen, die stärker ist als die Macht der Lüge“. Das könne unter anderem dadurch geschehen, die Führung in Diskussionen zu übernehmen, intelligente Diskurse zu führen. „Wir müssen lauter werden, den Mund aufmachen und klar machen, dass wir die Mehrheit sind. Ich möchte mehr christliche Aktivisten. Es reicht nicht nur, die Wahrheit zu sagen: wir müssen sie lauter sagen“, forderte der Bundesvorsitzende. Dazu gehöre auch, Veranstaltungen an der einen oder anderen Stelle anders zu akzentuieren und dieses Argumentieren angesichts oft sehr kontroverser Diskussionen einzuüben. „Toleranz hört auf, wo Intoleranz und Ausgrenzung beginnen“, setzte Rethmann einen markanten Schlusspunkt unter seine Aussagen.

Den Ausklang in Sachen Tagungsmotto bildete am Spätvormittag des Sonntags eine thematische Collage aus Szenen, Texten und Liedern des Theatermachers und Moderators des deutsch-tschechischen Theaterensembles „Das Thema – To téma“ Philipp Schenker und seiner Mitstreiterin, der Sängerin und Stand-Up-Komikerin Pavlína Matiová. Dabei ging es um historische Aspekte der deutsch-tschechischen Beziehungen (z.B. die Achter-Jahre), verschiedene Legenden der Erschaffung des Menschen bzw. der Sinti und Roma, den Umgang mit Vorurteilen sowie die Auseinandersetzung mit eigenen tief im Unterbewusstsein befindlichen Denkmustern und Haltungen.

Zum Abschluss dankte Rethmann insbesondere den Teams in den Geschäftsstellen der Ackermann-Gemeinde und der Sdružení Ackermann-Gemeinde und stellte Zdeněk Talácko als neuen Geschäftsführer der tschechischen Partnerorganisation vor.

Markus Bauer

Positiver und gelungener Dialog als Basis für das Zusammenleben

Inhalte der Arbeitskreise bei den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen

In sechs Arbeitskreisen wurden bei den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen verschiedene Facetten des Tagungsthemas erörtert. „Wie wollen wir in Europa (zusammen)leben?“ hieß das Thema des ersten Arbeitskreises in Form eines Gesprächs zwischen Daniel Herman und Dr. Albert-Peter Rethmann. Dabei stand zunächst die Grundfrage im Raum, ob Vielfalt negativ oder positiv ist. Jedenfalls sei viel Anstrengung und Arbeit nötig – und wichtig, „dass wir die Vielfalt dialogisch gestalten. Nur dann erfolgt der Dialog auf Augenhöhe. Und wenn es grundsätzlich inklusiv unter uns zugeht“, erläuterte Rethmann. Ein zentraler Aspekt des Gesprächs sei zudem der Euro-Förderalismus gewesen, also viel mehr gemeinsame Wirtschafts-, Finanz-, Verteidigungs- und Sozialpolitik.

Aus dem Arbeitskreis 2 zum Thema „Wie wollen wir in der Kirche und mit anderen Religionen (zusammen)leben“ berichtete dessen Moderator Dr. Christian Geltinger. Hier gaben der Pilsener Bischof Dr. Tomáš Holub, die in München und Prag wirkende Äbtissin Sr. Francesca Ṥimuniová OSB sowie Prof. Dr. Gregor Buß (Professor für Katholische Theologie, Anthropologie, Ethik und Soziallehre an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn) Statements. Grundsätzlich wurde festgestellt, dass es bereits eine breite Palette an Spiritualität, Glauben und Religion in den beiden Verbänden gebe, Tschechen und Deutsche aber voneinander lernen könnten. Dringend nötig sei ein „Mentalitätswechsel auf beiden Seiten“, konkret ein Agieren der Laien auf Augenhöhe. Die Tatsache, dass immer mehr kirchliche Angebote ohne einen Geistlichen stattfinden müssen, erhöhe den Aspekt der „Selbstorganisation“. In naher Zukunft werde es demnach mehr Durchlässigkeit, Vielfalt und eigene spirituelle Zugänge geben bzw. diese müssten gefunden werden.

Aus dem Arbeitskreis 3 zum Thema „Wie wollen wir angesichts der zunehmenden politischen Polarisierung demokratisch (zusammen)leben“ berichtete Reinhard Forst. Hier standen Jörg Nürnberger (Co-Vorsitzender des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums) und die Journalistin Bára Procházková Rede und Antwort. Der Rückgang an Mitarbeitern durch Corona und Probleme bei der Finanzierung von Projekten gehörten im Rückblick zu den zentralen Aspekten. Übereinstimmend wurde die Bedeutung der Arbeit mit jungen Menschen gesehen und damit die „Chance, etwas Neues aufzugreifen“. Wobei die Prägung – zum Beispiel durch das deutsch-tschechische Verhältnis – ebenso als wichtig gesehen wurde. Die Entwicklung Richtung politischer Polarisierung sei in beiden Ländern ähnlich. Schwierig sei es, sich in großen Gruppen mit diesen Auffassungen zu befassen und auseinanderzusetzen. Bei weitem mehr brächten „persönliche Gespräche mit jedem einzelnen Menschen“.

Der Frage „Wie wollen wir bei verschiedenen sozio-kulturellen Lebenswelten in unserer Gesellschaft (zusammen)leben“ ging der Arbeitskreis 4 nach, aus dem Klaus Beier berichtete. Hier stellten sich Dr. Anselm Hartinger (Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig), der Journalist und Schriftsteller Luboš Palata und der Gründer des Vereins Mongaguá Lukáš Pulko aus Aussig der Diskussion. Festgestellt wurde, dass Kultur Vieles umfasst, von der Alltags- bis zur Hochkultur, und Kultur immer im Kontext der Geschichte betrachtet werden müsse. Daraus ergebe sich ein „gelassener Blick auf die Gegenwart. Kultur biete ferner einen Raum für menschliche Begegnung und Beziehung wie auch für kritische Betrachtungen und Auseinandersetzung. Ein konstruktiver, offener Dialog könne zur Verständigung führen und „Grenzüberschreitung“ ermöglichen. Besonders in Metropolregionen wie Prag oder Nürnberg könne man sich so „auf neue, andersartige Gemeinschaftserlebnisse einlassen“, so der Berichterstatter. Eine Überwindung von Vorurteilen, Offenheit für Begegnungen in der Hoch- und Alltagskultur, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen – so könne eine gemeinschaftliche Weiterentwicklung in Richtung einer neuen, höheren Stufe geschehen. Voraussetzungen seien jedoch ein Engagement in allen Bereichen sowie eine entsprechende ideelle und finanzielle Förderung.

Der Frage „Wie wollen wir im Hinblick auf Klimaveränderungen und Ressourcenknappheit (zusammen)leben“ hatte der fünfte Arbeitskreis zum Inhalt, aus dem Moderator Filip Rambousek berichtete. Hier äußerten sich der Umweltbeauftragte der Erzdiözese München und Freising Matthias Kiefer und die Analytikerin des Projektes „Fakten zum Klima“ Kateřina Kolouchová aus Brünn. In Deutschland sei das Thema bereits seit den 70er Jahren in der Diskussion – mit vielen Maßnahmen, Förderungen und Projekten. „Ein Teil der Debatte muss auch die soziale Gerechtigkeit sein, auch über die schwächsten Teile der sozialen Ketten ist zu reden“, nannte Rambousek einen wichtigen Gedanken aus dem Arbeitskreis. In Tschechien gestalte sich dieser Zusammenhang schwieriger, die Kommunikation darüber sei nicht immer offen, da es Aspekte wie Konsumverhalten, Lebensstandard und Wachstum betrifft. Hier sei jedoch eine Veränderung nötig, „man muss die Alternative als attraktive Alternative darstellen“, zitierte der Berichterstatter eine Aussage Kiefers. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang war auch „Entschleunigung“, die zu einer Bereicherung, zu mehr Zeit für Freunde usw. führen könnte. Damit würden aber auch neue Werte entstehen, die in der Gesellschaft Unterstützung finden müssten. Empathie, Respekt, Vertrauen seien solche Werte, die – wie Rambousek abschließend erläuterte – bei Veränderungen in diesem Themenbereich in den Vordergrund rücken würden.

Der Arbeitskreis 6 widmete sich der Frage „Wie wollen wir intergenerationell (zusammen)leben?“ Ihre Erfahrungen brachten die Vorsitzende des Diözesanrats Freiburg Martina Kastner, die Journalistin und Schriftstellerin Dr. Alena Wagnerová und die Koordinatorin von SummerJob Prag Sára Suchá ein. Wie die Namen der Protagonisten verraten, wurden vor allem Eindrücke und Erfahrungen von Frauen geschildert. So ging es beispielsweise um innerkirchliche („Kirche in der Kirche“) Initiativen junger Leute, konkret die Um- und Neugestaltung von Räumen in einem Gotteshaus, einen eigenen Bereich für die Jugend. Nach anfänglicher Skepsis würden nun alle Mitglieder der Kirchengemeinde den neuen Raum für unterschiedliche Aktivitäten benutzen, die entscheidende Gruppe seien jedoch meist die Älteren.

Markus Bauer

Vielfältiges kulturelles Programm bei Begegnungstagen

Allerlei Facetten bei der deutsch-tschechischen Kulturnacht

 

Natürlich gehörten kulturelle Angebote und Veranstaltungen auch zu den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen in Pilsen. Neben der musikalischen Umrahmung von Gottesdiensten und einzelnen Programmpunkten war bei der deutsch-tschechischen Kulturnacht eine breite Palette unterschiedlicher Genres geboten. 

Bereits bei der Eröffnungsvesper und beim Gottesdienst am Freitag hatten Ensembles des Rohrer Sommers ihr Können und Repertoire gezeigt. Unter dem Motto „Eine musikalische Europareise“ bot das Barockensemble Rohrer Sommer auf historischen Instrumenten Tanz- und Folkmusik europäischer Komponisten im Franziskanerkloster. Dabei erklangen Werke von François Couperin (1668-1733), Antonio Soler (1729-1783), Pierre Phalèse (um 1510 - nach 1573), Henry Purcell (1659-1695), John Playford (1623-1686), Cristoforo Caresana (um 1640-1709), Antonio Vivaldi (1678-1741) sowie traditionelle Weisen aus Schottland, Irland, Dänemark, Schweden und natürlich aus Böhmen und Mähren. Johanna Boehm, die virtuos Oboe und Flöten spielte, moderierte in Englisch. Stephanie Kocher bestach neben der Viola auch mit der Viola d’amore. Das Violincello spielte gewohnt souverän Simon Ullmann, das Cembalo Irina Ullmann. Bei den Percussion-Instrumente wechselten sich Josef Müller und Josef Arnot ab. Die musikalische Ecke deckte darüber hinaus die Pilsener Jazz-Band „The Dixie Hot Licks“ ab, die bereits den Eröffnungsabend mitgestaltet hatte. Sie spielte am Flussufer beim Café Šálek & Špunt auf, vielfach wurde auch das Tanzbein geschwungen.

Die weiteren Angebote seien im Schnelldurchlauf genannt: Geisslers Hofcomoedianten präsentierten „Rezavá Anna“ („Die rothaarige Anna“), in der Westböhmischen Galerie lasen Veronika Kupková aus ihrem Buch „Mitten am Rande“ und Miloš Doležal aus seinem Werk „Léto běsů“ („Sommer der Dämonen“). Im Kinosaal des Tagungshauses zeigte Uli Decker ihren Film „ANIMA - die Kleider meines Vaters“ und stand darüber Rede und Antwort. Ebenfalls im Tagungshaus waren zwei Führungen zu der die gesamte Tagung gezeigten Ausstellung „Hammer und Amboss. Der Weg der katholischen Kirche durch das Protektorat Böhmen und Mähren 1939-1945“ geboten. Für ein Deutsch-Tschechischer PubQuiz sorgten die Junge Aktion der Ackermann-Gemeinde und Spirála der Sdružení Ackermann-Gemeinde im Saloon Roudná. Schließlich konnte im Restaurant Na Spilce getanzt werden. Unter dem Motto „Deutsch-Tschechisches Rendezvous“ spielte das Volksmusikensemble des Rohrer Sommers zum (Volks)Tanz auf.

Markus Bauer 

„Wir haben einen Glauben und eine Hoffnung“

Gottesdienste und religiöse Programmpunkte bei den Begegnungstagen

 

Unter dem Thema „Wie wollen wir (zusammen) leben?“ standen vom 7. bis 10. August die Deutsch-Tschechischen Begegnungstage der Ackermann-Gemeinde und der Sdružení Ackermann-Gemeinde (tschechische Partnerorganisation) in Pilsen. Eingerahmt war die Veranstaltung, der katholischen Basis der Verbände entsprechend, von Gottesdiensten. Auch weitere Programmpunkte widmeten sich unterschiedlichen kirchlich-religiösen Themen und Inhalten.

Den Auftakt bildete eine feierliche Vesper in der St. Bartholomäus-Kathedrale, der als Hauptzelebranten der Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde im Erzbistum Freiburg Peter Bretl und der Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde Monsignore Adolf Pintíř vorstanden. Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Dr. Albert-Peter Rethmann betonte in seiner Begrüßung die inzwischen erreichte „Normalität der Kontakte und Beziehungen“. Er freute sich über die Tage „in Pilsen, im Herzen Europas“ und hatte „Vertrauen, dass Gottes Geist bewirkt, Wege zu einem friedvollen Miteinander“ zu finden und zu gehen. In die inhaltliche Gestaltung der Vesper unter anderem mit einigen kurzen Sätzen des Ackermanns (aus dem Werk „Der Ackermann und der Tod“ von Johannes von Tepl) in deutscher und tschechischer Sprache führte Monsignore Pintíř ein. Er skizzierte den zeitlichen Rahmen der Entstehung dieses Opus und merkte an, dass das Werk quasi in einen anderen Raum führe, „wo andere Kräfte herrschen als in dieser Welt“. Als Symbole nannte der Vorsitzende verschiedene Farben und ihre Bedeutungen im kirchlich-religiösen Kontext. „Die Farben spielen eine wichtige Rolle in unseren Festen“, fasste er zusammen. Nach dem einleitenden Hymnus, zwei Psalmen und dem Magnificat brachten deutsche und tschechische Mitglieder der beiden Verbände symbolisch Schalen mit brennenden Kerzen zum Altar und trugen die Fürbitten vor – begleitet wieder von der Stimme des Ackermann. Die musikalische Gestaltung der Vesper lag in bewährter Weise bei den Ensembles des Rohrer Sommers, unter den Gästen war auch der Pilsener Bischof Dr. Tomáš Holub.

Der Eucharistie am Freitagmorgen in der Franziskanerkirche stand Pfarrer Peter Bretl vor. Die zentralen Sätze des Tagesevangeliums „Ihr seid das Salz der Erde und das Licht für die Welt“ bezog er auf die Gottesdienstbesucher, die „versammelt aus den verschiedenen Ecken Europas“ und „verbunden im Glauben“ hier zur Gottesdienstfeier zusammen waren. Und in diese Feier dürfte alles – Dank, Bitten, Gedenken an Mitmenschen – einbezogen werden. Den von ihm erbetenen Moment der Stille begründete Mitkonzelebrant  Monsignore Pintíř als „Gelegenheit für einen Moment zur Begegnung mit Gott“. Am Schluss der Messe drückte Pfarrer Bretl seine Stimmung aus: „Für mich ist Pilsen bzw. Tschechien wie eine Heimat. Arbeiten wir daran, dass die Erde für alle Menschen eine friedliche Heimat ist.“

Am Samstagvormittag gestalteten Mitglieder der Jungen Aktion und Kinder der zuvor in Waldmünchen stattgefundenen Begegnung „Plasto Fantasto“ einen Morgenimpuls zum Thema Menschen- und Kinderrechte. Mit Wort-, Musik- und Liedbeiträgen vermittelten sie die Bedeutung des Brückenbaus zwischen Menschen, Staaten und Völkern, des Abbaus von Vorurteilen und schließlich der Versöhnung und Verständigung. Ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft und ein gutes Verhältnis der beiden Länder.

Einen eindrucksvollen Abschluss hatten die Begegnungstage mit dem feierlichen, in zwei Sprachen zelebrierten Pontifikalgottesdienst erneut in der St. Bartholomäus-Kathedrale, der diesmal Bischof Holub vorstand. „Es sind zwar verschiedene Sprachen, aber wir haben einen Glauben und eine Hoffnung, die mit Christus verbunden sind“, betonte der Oberhirte in seiner Begrüßung. Im Glauben dürften die Menschen auch feststellen, „dass Gott uns  nahesteht, um uns zu unterstützen und zu helfen. Der als Immanuel mit uns geht und steht. Der Glaube, der aus der Begegnung strömt“, betonte der Bischof in seiner Predigt. Damit gehe einher, „dass Gott die neuen Perspektiven und die neue Hoffnung anbietet und öffnet. Und auch die Bereitschaft, wirklich zu erwarten, dass Gott der ist, an dem wir uns erfreuen können, und der Glaube unser Leben bereichert“. Die Gottesdienstbesucher lud er ein, die Breite des Glaubens zu erfahren und neu die Bereitschaft zu vertiefen, dass Gott uns nahesteht, „um uns die neuen Perspektiven aufzuzeigen“, führte Bischof Holub aus. Das ergebe eine Perspektive der Nähe und Hoffnung.

Die Lesungen und Fürbitten wurden in deutscher und tschechischer Sprache vorgetragen, Chor und Orchester des Rohrer Sommers umrahmten den Festgottesdienst unter anderem mit der „Missa Sancti Stephani“ von Franz Ignaz Tůma und der „Sinfonia in f-Moll“ von Franz Xaver Richter. Der Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde Monsignore Adolf Pintíř erinnerte auch in seiner Eigenschaft als Mitkonzelebrant an die Ereignisse, die vor 80 Jahren geschehen sind, der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Dr. Albert-Peter Rethmann sprach von „wunderbaren Tagen in Pilsen, im Herzen Europas“.

Markus Bauer 

„Wir sind hier nicht bedrückt, es geht wieder bergauf“

Exkursion zur Geisterkirche in Luková und Gespräch über pastorale Situation in Manětín

Am Samstagnachmittag standen bei den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen sechs Begegnungen und Exkursionen zu Themen des Zusammenlebens in der Region Pilsen auf dem Programm. Exemplarisch hier Eindrücke von der Fahrt zum Thema „Wie wollen wir als Christen in der Diaspora (zusammen)leben“. Diese führte zunächst in die Geisterkirche von Luková und dann nach Manětínin das Johannes dem Täufer geweihte Gotteshaus. In beiden Kirchen gab der aus Linz stammende und seit vielen Jahren in Tschechien wirkende Pater Günther Ecklbauer von den Oblaten der Makellosen Jungfrau Maria Auskunft zu den historischen und aktuellen Fakten.

Auf das Jahr 1352 ist die erste Erwähnung der Georgskirche in Lukau/Luková datiert. Die ursprünglich gotische Kirche, die vor allem von Deutschen genutzt wurde, war im 19. Jahrhundert ausgebrannt und dann mit neuen Element wiederaufgebaut worden. Mit der Vertreibung der Deutschen verlor das Gotteshaus seine Bedeutung, die Kirchenpolitik der ab 1948 herrschenden Kommunisten tat dann sein Übriges. Im Jahr 1968 wurde letztmals hier ein Gottesdienst gefeiert, danach verfiel das Gebäude zusehends. Der schlechte Zustand veranlasste schließlich im Jahr 2012 den Künstler Jakob Hadravá im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit zu der bemerkenswerten Installation: er holte damit sozusagen die Gläubigen, die früher hier gelebt haben und in die Kirche gingen, als Figuren zurück – 33 an der Zahl. Hadravá kleidete die ihn unterstützenden Mitstudenten für das Projekt in Laken- und Spitzenstoffe und fixierte sie dann als ausgehöhlte Gestalten in Gips, die somit die Kirchenbänke wieder bevölkern. Die geisterhaft wirkenden, menschengroßen Figuren stehen symbolhaft für die einst hier lebenden Gläubigen - eben Sudetendeutsche, die vertrieben wurden. Das besondere künstlerische Projekt gewann schnell an Bekanntheit, so dass Führungen notwendig wurden. Es soll aber keine Komplettrenovierung geben, sondern eher eine Konservierung des jetzigen Zustandes, wofür die Spenden verwendet werden. Am Georgstag zum Patrozinium, zu Allerheiligen sowie für Pfadfinder- bzw. Jugendgruppen gibt es Gottesdienste, im Dorf um die Kirche leben acht Leute – keine Katholiken. Umso bemerkenswerter ist, dass sich darunter engagierte Helfer finden. „Diese Geisterkirche ist einer der Wege, wie Kirche und säkulare Gesellschaft in Kontakt kommen“, fasste Pater Ecklbauer zusammen. Ein Gedanke in Hadravás Arbeit war laut Ecklbauer übrigens, dass verkommene Kirchen zeigen, dass auch die Gesellschaft verkommt und verfällt.

In der Kirche St. Johannes in Manětín verwies Adriana Insel auf ein vom Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde in dieser Region unterstütztes Projekt, konkret die Mitfinanzierung eines PkW. Peter Ecklbauer relativierte den Begriff „Diaspora“, da dieser einen für ihn eher „negativen Anstrich“ habe und auf ein Zentrum abziele. „Für uns sind das Zentrum die Gebiete, wo die Welt noch heil ist, also Orte, wo die Diaspora noch nicht hingekommen ist“. Und im Kontext des Begriffes „Säkularisation“ spricht er lieber von Transformation und damit verbunden von der Situation bzw. neuen Möglichkeiten, den Glauben sehr authentisch und mit Freude zu leben. Seit einem Jahr ist die von ihm betreute Seelsorgefläche doppelt so groß geworden und umfasst sehr unterschiedliche Gebiete – zum Teil sehr schwach besiedeltes Gebiet, teilweise früheres Sudetengebiet mit manchmal größeren oder auch kleineren Gruppen. „Aber auch die können sehr aktiv sein. Sie müssen selbst Verantwortung übernehmen, da es keine Priester gibt“, erläuterte er. So gibt es nach der Sonntagsmesse zum Beispiel ein Pfarrcafé, der Religionsunterricht findet in den Pfarrhöfen statt, Kranke werden besucht und unterschiedliche Wochenendaktivitäten geboten. „Wie viele Kirchen ich insgesamt habe, weiß ich nicht“, bekannte der Geistliche angesichts der Größe der Pfarreiengemeinschaft und zahlreicher Filialen der einzelnen Pfarrgemeinden.

Kurz ging er auf die bereits im Jahr 1169 erstmals erwähnte Johannes-Kirche und seine Oblaten-Gemeinschaft allgemein und vor Ort sowie die pastoralen Schwerpunkt ein: Gefängnisseelsorge, Jugendarbeit, Predigen für die einfachen Leute (Volksmission bzw. Evangelisation). „Vieles verlieren wir, aber wir gewinnen auch vieles. Wir sind hier nicht bedrückt, es geht wieder bergauf“, erläuterte der Pater. Da nur wenig Arbeit etwa für Taufen, Begräbnisse, Hochzeiten und Religionsunterricht nötig ist, bleibt Raum für andere Dinge (Gefängnisseelsorge, Exerzitien, Vorträge. „Das ermöglicht uns, den Glauben freudig zu leben, weniger durch Verwaltung belastet zu sein. Ich fühle mich sehr frei hier, ja in einer Freiheit zu leben“, beschrieb Pater Ecklbauer die Situation. Dennoch ist es für ihn wichtig, nach neuen Formen zu suchen, aus der kirchlichen Blase herauszutreten, zumal manche Leute keine Antenne mehr für Spirituelles haben oder die genutzte Form und Sprache in der Kirche nicht mehr verstehen. „Wir müssen lernen, eine neue Sprache zu sprechen, die noch verstanden wird“, vertiefte er.

Seit 2009 wirken die Oblaten der Makellosen Jungfrau Maria in dieser Region. Wenig erbaut ist er vom Wort „ungläubig“ – hier schlägt er eher „nicht kirchlich“ vor. In der Seelsorge will er weder die Peripherie noch die älteren Leute abschreiben. In absehbarer Zukunft wird es nur noch einen Pfarrgemeinderat für alle Pfarreien geben, ab und zu bringen sich auch Leute, die nicht getauft sind, in die Pfarrarbeit ein. Bei den Sonntagsgottesdiensten gibt es zweimal im Jahr nur eine Messe für alle Pfarreien bzw. jeden zweiten Monat eine Messe für ein bestimmtes Gebiet. Im Einsatz sind bereits Katechumenen. Zu den Angeboten gehören weiter eine einmal im Monat online durchgeführte Abendschule, Kontemplationskurse, Konzerte und auch Kochkurse – zum Knüpfen von Kontakten. „Wir können auf diese Weise Freundschaften leben, und die Menschen sind so in Verbindung mit Gott. Gott kommt früher als der Missionar“, schloss Pater Ecklbauer humorvoll seine Ausführungen.

Die weiteren Exkursionen und Begegnungen widmeten sich den unterschiedlichen sozialen Schichten, der intergenerationellen Arbeit, der Gefängnisseelsorge, der Kommunalpolitik und dem Umgang mit Traumata aus der Geschichte.

Markus Bauer

Starkes Europa, friedliches Miteinander und Aufbau von Freundschaften

Junge Aktion der Ackermann-Gemeinde beging 75-jähriges Jubiläum

Mit einem Gala-Dinner feierte die Junge Aktion der Ackermann-Gemeinde (JAG) bei den Deutsch-Tschechischen Begegnungstagen in Pilsen ihr 75-jähriges Jubiläum. Dabei gab es in Form der Kultsendung „Wetten, dass …“ aus verschiedenen Perspektiven Rück- und Einblicke in diese siebeneinhalb Jahrzehnte Jugendarbeit. Zudem erhielten fünf frühere JAG-Mitglieder, die heute in verschiedenen Bereichen der Ackermann-Gemeinde aktiv sind, die JAG-Ehrenmitgliedschaft.

Die beiden Moderatoren - Niklas Boehm vom JAG-Bundesvorstand und der Geistliche Beirat Matthias Altmann - holten zunächst mit Martin Panten und Sandra Uhlich zwei frühere Bundessprecher aufs Podium und fragten sie nach ihren Erfahrungen und zur aktuellen JAG. „Die Zahl der Teilnehmer ist zwar überschaubar, aber die Qualität der Arbeit nach wie vor gut mit Ernsthaftigkeit, Tiefe und Nachhaltigkeit“, analysierte Panten. Auch die Herangehensweise bei Religiosität und Spiritualität habe sich verändert. Vor allem beim Blick auf die vielen deutschen und tschechischen Kinder und Jugendlichen der Sommerfreizeit „Plasto Fantasto“ werde ihm „warm ums Herz“, bekannte Panten. Seit 2020 wirkt er als Bürgermeister in Parkstetten, und bei der Ackermann-Gemeinde ist er stellvertretender Bundesvorsitzender. Im Gegensatz zu Panten hat Sandra Uhlich keine Vertriebenengeschichte, diese kamen erst durch die Heirat, d.h. durch den Ehemann. Im Jahr 1991 war sie von einer Freundin zur Mädchen-Buben-Woche der Würzburger Ackermann-Gemeinde mitgenommen worden. „Bei dieser ersten Begegnung lernte ich tolle Menschen kennen, es entstanden Freundschaften, die bis heute bestehen. Nach der Grenzöffnung kam es zu Treffen mit Gleichaltrigen aus Tschechien und der Slowakei“, blickte Uhlich zurück. Nach diesen Schilderungen wurden Panten und Uhlich zu Ehrenmitgliedern ernannt, doch der frühere Bundessprecher musste erst noch eine Wett-Aufgabe erfüllen: aus einigen kurzen Redeausschnitten hatte er zu erraten, welche original und welche KI-generiert waren. Kurzum – Martin Panten musste als Wettschuld dann spontan eine einminütige Lobrede auf die Vorspeise halten, was ihm bestens gelang.

In der zweiten Runde holten die Moderatoren dann Christoph Mauerer sowie Bärbel und Klemens Heinz auf die Bühne. An Ostern 2013 war er zum ersten Mal, nach etlichen Aktionen etwa bei Tandem, bei der Jungen Aktion, erinnerte sich Mauerer. Er stammt aus dem grenznahen Ort Neukirchen beim Heiligen Blut und hat daher zu deutsch- bzw. bayerisch-tschechischen Aspekten einen besonderen Bezug. „Es war eine spezielle Atmosphäre, ein Wohlfühlen, tolle Menschen und Sachen“, blickte er auf seine JAG-Anfänge zurück. Ein Highlight für ihn war eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn – ein Angebot der Aktion West-Ost im BDKJ, der auch die JAG angehört. Angesichts dieser Erfahrungen erlernte er die tschechischen Sprache und hat seit vielen Jahren im Nachbarland sein Haupttätigkeitsfeld – als Deutschlehrer in Prag und (ab September) in Königgrätz und als Vorstandsmitglied in der Sdružení Ackermann-Gemeinde.

In unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern sind heute Bärbel und Klemens Heinz in der Ackermann-Gemeinde tätig. Beide federführend bei der Jungen Ackermann-Gemeinde bzw. im Rohrer Forum, Klemens Heinz als Vorsitzender der Ackermann-Gemeinde e.V. Und nicht zu vergessen: Bärbel Heinz ist die Tochter des langjährigen Generalsekretärs der Ackermann-Gemeinde Franz Olbert. „Wir haben wirklich kritisch diskutiert und auch zusammen gefeiert. Dieser Austausch war immer besonders“, erläuterte Bärbel Heinz und verwies auf damals aktuelle Themen wie Atomkraft und Zivildienst. Das unterstrich auch ihr Ehemann, der von „intensiven Diskussionen, unterschiedlichen Auffassungen, fairem Umgang“ sprach. Wichtige Faktoren seien aber auch der Glaube und die Gemeinschaft gewesen. Unvergesslich aber auch die Fahrten in den Jahren vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, wo viele Dinge (Bibeln, Geld, Heizungsteile usw.) geschmuggelt wurden. „Wir hatten tolle Vorbilder aus der Erlebnisgeneration mit zum Teil dramatischen Erlebnissen“, ergänzte Bärbel Heinz. In diesem Zusammenhang erinnerten die beiden stellvertretend an Hilde Hejl und Professor Ernst Nittner. Bei der anschließenden Saalwette mussten Bildern aus 75 Jahren JAG-Historie die richtigen Jahre zugeordnet werden. Als Wettschuld durften schließlich die Moderatoren den Song „Take me home, Country Roads“ singen. Auch das Ehepaar Heinz sowie Christoph Mauerer wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt.

Zum Abschluss richteten Bundessprecherin Luise Olbert und Bundessprecher Sebastian Panten – beide haben diese Ämter seit dem Frühjahr inne – Worte an die Gäste. Die Stärkung der deutsch-tschechischen Gemeinschaft und der Aufbau eines friedlichen und starken Europas sei in diesen 75 Jahren die kontinuierliche und wesentliche Aufgabe der JAG gewesen. „Wir sind stolz, was wir an Versöhnungs- und Freundschaftsarbeit schon geschafft haben. Das Ziel heute ist ein starkes Europa, ein friedliches Miteinander und der Aufbau von Freundschaften“, betonten die zwei Bundessprecher. Ein großer Dank ging an alle Aktiven in diesem Dreivierteljahrhundert, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie Leiterinnen und Leiter der JAG-Veranstaltungen und die Organisatoren dieses Abends und der Begegnungstage – insbesondere aber an Ina Ringer von der Bundesgeschäftsstelle. Zum Abschluss wurde das neue JAG-Logo enthüllt und vorgestellt. Zum Volkstanz spielte danach das Ensemble des Rohrer Sommers zünftig auf. Und natürlich gab es – als Dessert - einen leckeren Geburtstagskuchen.

Markus Bauer