Daniel Defoe: Kurze Geschichte der pfälzischen Flüchtlinge

Was für ein Berg von einem Buch – voller dunkler Schrunken, lichter Plateaus und Quellen, aus denen Erkenntnisse fließen, die heute so aktuell sind wie vor dreihundert Jahren. Aufgeschrieben hat alles Daniel Defoe (1660 bis 1731), der als Autor des Romans „Robinson Crusoe“ unsterblich wurde.

Daniel Defoe: Kurze Geschichte der pfälzischen Flüchtlinge. Aus dem Englischen von Heide Lipecky, dtv Verlag München 2017, 86 Seiten, ISBN 978-3-423-14591-6, € 8,00.

 

Im klugen Kampf für Flüchtlinge

Was für ein Berg von einem Buch – voller dunkler Schrunken, lichter Plateaus und Quellen, aus denen Erkenntnisse fließen, die heute so aktuell sind wie vor dreihundert Jahren. Aufgeschrieben hat alles Daniel Defoe (1660 bis 1731), der als Autor des Romans „Robinson Crusoe“ unsterblich wurde.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts trafen zehntausende evangelische Flüchtlinge aus der Unterpfalz in England ein. Sie waren des Englischen nicht mächtig, hatten kaum Aussicht auf Broterwerb, waren fast völlig mittellos. Die barbarischen Verheerungen durch französische Truppen oder religiöse Verfolgungen, Hunger hatten ganze Gruppen der Bewohner aus ihrer Heimat in der Rhein-Neckar-Region bis aus dem Elsass vertrieben. Defoe schrieb zur Lage auf der Insel: „Einige werden behaupten, die Verköstigung und künftige Versorgung der Pfälzer in ihrem gegenwärtigen elenden Zustand, bis sie so untergebracht werden können, um durch Fleiß und ehrliche Arbeit für sich selbst aufzukommen, sei nicht nur ein großer Akt christlicher Nächstenliebe, sondern eine Ehre und ein beträchtlicher Gewinn für die gesamte britische Nation, da sie deren Macht und Herrlichkeit vergrößert, den Handel fördert und den Reichtum des Königreiches mehret. Während andere gegen diese Meinung heftig wettern und sagen, zu diesem Zeitpunkt eine solche Menge von Ausländern hereinbringen, heißt, die Lebensmittel noch mehr zu verteuern …, die Zahl unserer eigenen Armen erhöhen…“. Schon damals gab es Rufe nach, wie wir heute sagen, Obergrenzen, Kontingenten und Flüchtlingskolonien. Es gab fremdenfeindliche Hetze gegen die Deutschen, aber ebenso Hilfe und Mut von Privatleuten und vom Staat, die den Heimatlosen neue Hoffnung gaben.

Defoe beschwor seine Landsleute: Die einst so fruchtbaren Heimatgegenden seien dermaßen ausgelaugt, dass auch durch „zwei Zeitalter hintereinander“ die einstige Wohlhabenheit und Herrlichkeit nicht werden wiedergegeben können. Die Lage der Pfälzer hätte „auch die unsere sein können“, als es in England Verfolgungen gab, schrieb Defoe an „Seine Majestät von Großbritannien und Irland“. Die Flüchtlinge könnten mit ihrem Fleiß auch unser Volk aus seiner gegenwärtigen Lethargie retten“. Er erinnert in diesem Brief an die in England angesiedelten zahllosen französischen Hugenotten, die „etliche neue Erzeugnisse eingeführt und einige unserer alten verändert haben“. Er beschreibt die gute Ausbildung in vielen Berufen, den Fleiß, den Willen der Pfälzer, sich sofort selbständig hochzuarbeiten. Fleißige Hände machten reich, Reichturm durch Fleiß erworben, sei ein unerschöpflicher Schatz. Und er beschreibt das „herrliche Land, seinen Reichtum vor den Verwüstungen, er beschrieb die einst herrlichen, nun zerstörten Städte Heidelberg, Mannheim, Speyer, Worms und weitere Orte in anderen Gegenden entlang des Rheins. Entleerten Gegenden im Königreich könnten die Flüchtlinge zu Blüte verhelfen. Noch heute gibt es eine erkennbare Aussiedlung der Pfälzer in Irland, Nachfahren sind in mehreren Gegenden Englands anzutreffen.

Das Buch ist ein Zeitzeugnis ohnegleichen und eine erhellende Hilfe für alle, die sich mit dem Thema Flüchtlinge befassen. Das Thema ist heute erschütternd aktuell, die Voraussetzungen decken sich nicht immer. Beim Vergleich mit der Ankunft des deutschen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, Österreich und in anderen Teilen der Welt entstehen bemerkenswerte Parallelen.

Gerold Schmiedbach