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Antikomplex (Hrsg.): Mitten am Rande, Bd. 3

Ein „Reiseführer“ in Interviews

Das Anliegen der Bürgerinitiative Antikomplex ist eine kritische Reflexion der tschechischen Geschichte. Inzwischen ist der dritte Band der vierteiligen Publikationsreihe „Mitten am Rande“ erschienen.

Entstanden ist diese Serie von Interviews mit engagierten Persönlichkeiten aus dem ehemaligen Sudetenland, als die Staatsgrenzen wegen der Pandemie geschlossen waren. Es handelt sich sozusagen um eine tschechische Binnenperspektive – für deutsche Leser umso interessanter. Die vier jeweils zweisprachigen Bände beschäftigen sich mit dem Nordwesten (siehe Heft 4-2022, S. 28), dem Nordosten (Heft 2-2024, S. 17) und jetzt dem Südwesten (Band 3) über die Region zwischen Sankt Joachimsthal und dem Gratzener Bergland. Band 3 wurde gefördert vom Deutsch-tschechischen Zukunftsfond und vom Südböhmischen Kreis/Jihočeský kraj. Es wird auch ein Band über den Südosten erscheinen. 

In ihrem Vorwort schreiben Veronika Kupková und Michal Urban über ihre oft erst nach dem Fall des eisernen Vorhangs zugezogenen Gesprächspartner: „Es ist wahrhaft ein buntes Mosaik an Menschen, die unermüdlich gegen Gleichgültigkeit, Hoffnungslosigkeit und gegen das Vergessen kämpfen.“ Mut und Enthusiasmus, oft auch einfach die Liebe zur Region oder Landschaft, sind der rote Faden, der sich durch die Interviews zieht. In fast allen Gesprächen geht es auch um die tschechisch-deutschen Beziehungen, zumeist auf einer ganz unpolitischen, zwischenmenschlichen Ebene. 

Lucie Poláková (bei Asch/Aš) erkennt im Sudetenland immer noch etwas Verwunschenes – durch Unrecht, Vertreibung, Leid, durch die Vorkriegsgeschichte, verschwundene Dörfer. Das, was engagierte Menschen in diesen Gegenden leisten, beschreibt sie als „Heilungsprozess“. Lucia Pec (Rehberg/Srní) beschäftigt sich mit der Natur und der Geschichte des Grenzlandes: „Die ehemaligen Dörfer nehme ich als herrliche, magische Orte, die zur Natur zurückgekehrt sind.“ Ebenfalls in Rehberg beschäftigen sich Václav Sklenář und der von ihm gegründete Verein „Karel Klostermann Dichter des Böhmerwaldes“ mit dem Literaten. In Rehberg soll das ehemalige Pfarrhaus zu einem Karel-Klostermann-Haus ausgebaut werden. Markéta Kotěšovcová, Dorfschuldirektorin in Tschachrau/Čachrov, sieht die Notwendigkeit, dass die Region durch den Menschen wiederbelebt wird. Mit ihrer Schule möchte sie einen Beitrag leisten. Über ihre archäologischen Aktivitäten berichten Filip Prekop (Lauterbach/Čistá) und David Vereš (Zwetbau/Svatobor). Ein Beitrag ist dem Verein „Domaslav“ gewidmet, der sich in Böhmisch Domaschlag/Domaslav um die Erhaltung des Pfarrhauses und der Jakobuskirche kümmert, worüber Marie Dlouhá berichtet. Ebenfalls in der Denkmalpflege aktiv ist der Verein „Bart“, der in Neumarkt/Úterý die über dreihundert Jahre alte Orgel in der Kirche Johannes der Täufer gerettet hat und derzeit ein Barockhaus am Hauptplatz rekonstruiert, so Tomaš Kaiser, der Vereinsvorsitzende. Dem Erhalt von sakralen Denkmälern und Pilgerwegen im Gratzener Bergland widmet sich Michaela Vlčková und der Verein „Krajina Novohradska“. Vlčková betont, wie notwendig es ist, sich auch mit den Schicksalen jener zu befassen, die wegen der Grenzzone ihr Zuhause verlassen mussten. Radek Kocanda und der Verein „Hrady na Malsi“ („Burgen an der Maltsch“) haben mehrere mittelalterliche Denkmäler in Obhut – alles Ruinen. Neben Renovierung und öffent­lichen Arbeitseinsätzen stehen kulturelle Veranstaltungen im Zentrum iher Arbeit. 

Über weitere Einzelprojekte berichten Milana Pincová (Joachimsthal/Jáchymov), Prokop Šícha (Elsch/Olešna), Miroslava Šusová (Schloss Zetschowitz/Čečovice), Lenka Augustinová (Poletitz/Boletice), Antonín Kolař (Hochsemlowitz/Semněvice) und Barbora Koritenská (Prachatitz/Prachatice).

Für alle Projekte geben die Autoren Profile in sozialen Medien oder Webseiten an. Man kann sich dort weiter inspirieren lassen oder die Gesprächspartner und die involvierten Vereine kontaktieren. Am besten aber fährt man hin. Wie die beiden Vorgänger ist auch der dritte Band von "Mitten am Rande" ein wertvoller Reiseführer durch das heutige Sudetenland, zu Menschen, Landschaften und Geschichten. Ich habe das Buch gelesen, als ich auf der Rückfahrt von Böhmen nach Berlin war. Am liebsten wäre ich gleich wieder umgekehrt.

Sven Müller

Veronika Kupková: Mitten am Rande. Gespräche mit Menschen, die dem Sudetenland ein neues Gesicht geben. Bd. 3: Südwesten, paralleler tschechi¬scher Text verkehrt herum gedruckt, eigene Titelseite, Antikomplex Prag 2024, zweimal 166 Seiten, zahlreiche Abb., Karten, ISBN 978-80-906198-7-6,
Bestellungen unter e-shop@ antikomplex.cz, 350 Krč/16,00 €.

Das Buch kann auch für Bestellungen aus Deutschland bei der Ackermann-Gemeinde bezogen werden unter: info@ackermann-gemeinde.de