"Wichtig war, den Kirchenhorizont bei den Gläubigen zu erweitern"

Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt sprach beim Themenzoom der Ackermann-Gemeinde

Das Jubiläum „30 Jahre Deutsche Einheit“ bildete auch den Inhalt des Themenzooms der Ackermann-Gemeinde am ersten Oktober-Dienstag. Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt stand den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den 53 PCs zum Thema „30 Jahre danach. Wie steht es um die deutsche Einheit?“ Rede und Antwort. Er ging dabei vor allem auf gesellschaftliche und kirchliche Aspekte ein.

Natürlich stellte Moderator Rainer Karlitschek den seit 2011 wirkenden Oberhirten vor, der rege Kontakte zur Ackermann-Gemeinde und Sdružení Ackermann-Gemeinde hat – besonders seit dem Bundestreffen der Ackermann-Gemeinde 2012 in Bautzen. Der in Gotha geborene Bischof Ipolt wurde im Jahre 1979 in Erfurt zum Priester geweiht. Es folgten mehrere Stationen als Seelsorger, bevor er Subregens und Regens im Erfurter Priesterseminar, der zentralen Priesterausbildungsstätte für die DDR bzw. die östlichen Diözesen, wurde. Im Jahr 2011 wurde er zum Bischof von Görlitz ernannt. Er ist Mitglied in der Pastoralkommission und stellvertretender Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. Ein Schwerpunkt seines Wirkens liegt im deutsch-polnischen Austausch. Sein Bischofsspruch ist aus zweiten Korintherbrief des Apostels Paulus: „Den Duft der Erkenntnis Christi an allen Orten verbreiten!“

Der Görlitzer Bistumschef erinnerte an die Ereignisse vor drei Jahrzehnten mit dem Fall der Mauer im November 1989 und die letzte DDR-Regierung im Frühjahr 1990, wo der Wille zur Einheit immer deutlicher wurde. „Das war zunächst noch nicht so sichtbar, hat sich dann aber schnell entwickelt“, führte der Bischof aus. Weitere Stationen waren am 1. Juli 1990 die Wirtschafts- und Währungsunion und schließlich der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990, wodurch die Einheit möglich wurde. Besonders betonte Bischof Ipolt die Rolle Michail Gorbatschows und seiner Politik von Glasnost und Perestrojka – Basis für den friedlichen Verlauf ohne militärische Einmischung für den Einigungsprozess. „Die Zeit von Juli bis zum 3. Oktober 1990 war eine rasante Entwicklung, hat aber auch Wunden hinterlassen“, relativierte der Oberhirte und wies auf die Treuhand (Auflösung von DDR-Betrieben) und Arbeitslosigkeit in den 1990er Jahren hin. „Vielleicht hätte man Manches retten können“, meint er im Rückblick. Viele Ausbildungen seien nicht anerkannt worden, und die Menschen oft „nicht geübt gewesen im neuen Stil der Arbeit“, so der Bischof. Dennoch stimmt er Helmut Kohls bekanntem Satz der „blühenden Landschaften“ zu, zumal in den vergangenen zehn Jahren viele Menschen wieder Arbeit gefunden hätten. Dennoch gebe es Defizite wie zu wenige Ostdeutsche in leitenden Positionen, was auch zu Verunsicherungen bei den Leuten führe. „Insgesamt ist die Wiedervereinigung – trotz mancher Schwierigkeiten - eine Erfolgsgeschichte. Die Wiedervereinigung hat den Ostdeutschen auch den Weg nach Europa geebnet und leicht gemacht“, fasste der Oberhirte den politisch-gesellschaftlichen Bereich zusammen.

Auch beim Thema „Kirche“ setzte er mit der Analyse 1989 an. „1989/90 waren die Kirchen wichtige Partner für die gesellschaftliche Entwicklung. Sie haben Räume zur Verfügung gestellt, womit der gesellschaftliche Dialog eingeleitet werden konnte“, schilderte er. In den großen Städten seien die Gotteshäuser Ausgangspunkte der Demonstrationen (nach den Friedensgebeten) gewesen. „Es gab keine anderen Räume, die frei waren und wo man offen reden konnte“, konkretisierte er. Nicht erfüllt habe sich aber die bisweilen vertretene Hoffnung, dass die Treffen in Kirchenräumen auch ein neuer Glaubensaufbruch seien. Mit der Einführung des westlichen Kirchensteuersystems, des Wegfalls des ideologischen Feindes und pluraler Angebote an Veranstaltungen, Vereinen und Möglichkeiten sowie durch den Wegzug von Bürgern in den Westen sei ein Rückgang der Gemeindemitglieder verbunden gewesen. Exemplarisch nannte der Bischof das nun mögliche Verreisen von Familien in den Osterferien, wodurch Mitfeiernde und Ministranten an den wichtigsten liturgischen Tagen des Jahres fehlten. „Erst in letzter Zeit kehrt sich das etwas um, einige Leute kommen wieder zurück. Insgesamt tut es den Gemeinden gut, dass sie Erfahrungen mit der Weltkirche sammeln können“, blickte der Oberhirte auf die 30 Jahre. Reisen, große kirchliche Veranstaltungen wie etwa der Weltjugendtag oder Katholikentage sowie – bei Jugendlichen – der Freiwilligendienst als „Missionar auf Zeit“ würden zu einem breiteren Verständnis der katholischen Kirche beitragen. Ebenso verwies der Bistumschef darauf, dass die Ost-Bistümer noch einige Zeit von größeren Bistümern abhängig sein werden – aber ihre Möglichkeiten nutzen. „In der Öffentlichkeit haben wir eine hohe Akzeptanz und werden positiv wahrgenommen, unsere caritative Arbeit wird sehr geschätzt“, fasste Bischof Ipolt diesen Teil seiner Ausführungen zusammen. Und bei Gesprächen mit Journalisten sei bisweilen auch eine Kurz-Katechese möglich.

Gefragt nach den Unterschieden (auch in der Entwicklung) der katholischen Kirche im Westen und im Osten Deutschlands verwies der Bischof auf die Horizonterweiterung – und auf den Zuzug polnischer Katholiken in sein Bistum vor allem in Grenznähe. „Beide Seiten müssen sehen, ob wir uns katholisch vertragen“, meinte er dazu. Ein gutes Verhältnis bestehe zu den Protestanten. Weitgehend aufgearbeitet sei auch das Thema SED bzw. Stasi und Informelle Mitarbeiter – Letzteres sei nicht immer einfach gewesen, manchmal habe es spezielle Versöhnungsprozesse gegeben. Grundsätzlich riet Bischof Ipolt, „Profil zu zeigen, den Glauben nicht zu verstecken und sich nicht zu schämen, dass wir Christen sind. Wir müssen die innere Sehsucht verspüren, dass wir auch heute noch Christen gewinnen können!“

Weitere Fragen bezogen sich auf die heute von Vereinen durchgeführte Jugendweihe, den konkreten Umgang mit den polnischen Katholiken im Bistum („Wir wollen deren Integration in unsere Gemeinden“) und die aktuellen Demonstrationen in Weißrussland, die – so Bischof Ipolt – gewisse Parallelen zu den Ereignissen in der DDR im Jahr 1989 haben. Mit Blick auf die Menschen dort meinte er: „Wir können nur beten, dass sie es hinbekommen und die Demonstrationen friedlich bleiben.“

Markus Bauer

Bischof Wolfgang Ipolt bei seinen Ausführungen.
Herwig Steinitz beteiligte sich an der anschließenden Fragerunde.
Blick auf einen Teil der Zuhörer bzw. Zuschauer.