„Vergebung und Versöhnung auf Zukunft hin gestalten“

Pater Stefan Dartmann, seit Dezember 2010, Hauptgeschäftsführer der Solidaritätsaktion "Renovabis" der deutschen Katholiken mit den Menschen in Ost- und Mitteleuropa weist in einem Beitrag auf gemeinsamen Anliegen mit der Ackermann-Gemeinde hin:

Der Blick auf die Vergangenheit ist für die Ackermann-Gemeinde unaufgebbar und wichtig. Und doch: an die Stelle derer, die nach dem Zweiten Weltkrieg unmittelbar von der Vertreibung betroffen waren, sind jetzt deren Kinder und Enkel getreten. Selbstbewusst und mit einem guten Urteil für das, was heute ansteht, haben sie die Verantwortung für die Zukunft des Verbandes übernommen. In der zeitgemäßen Profilierung ihrer Arbeit haben sie in Renovabis einen sympathisierenden Mitstreiter.

Aggression und Expansion, Vernichtung und Vertreibung, sind grausame Erfahrungen, die das Leben und Denken, Fühlen und Handeln vieler älterer Menschen in Europa geprägt hat. Kaum vorstellbar, aber wahr ist es, dass sich dieselben Verbrechen noch einmal in der jüngsten Vergangenheit unseres Kontinentes wiederholt haben. Die vielen Sarajevos und Srebrenicas… - Wer würde behaupten wollen, dass die traumatischen Erfahrungen, die sich damit verbinden, in unserer kollektiven Erinnerung  schon „aufgearbeitet“ wären?

Angesichts solcher Gräuel will die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz dennoch nichts von unvergebbarer Schuld wissen. Im Gegenteil bedarf gerade das Unverzeihliche ihrer Auffassung nach der einen Vergebung und Versöhnung, die letztlich nur Gott zu gewähren vermag.

Ackermann-Gemeinde und Renovabis sind zwei Akteure, die von verschiedenen Ausgangspunkten auf das Thema der Versöhnung gestoßen sind. Die gute Kooperationen in der Vergangenheit fortzuführen, ja zu intensivieren, ist mir ein persönliches Anliegen. Denn der Jesuitenorden, dem ich angehöre, hat bei seiner letzten Generalkongregation 2008 als zeitgemäßen Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit die „Sendung zur Versöhnung“ ausgemacht, die darin besteht, „rechte Beziehungen mit Gott, miteinander und mit der Schöpfung aufzubauen“ (Dekret 3).  

Versöhnungsarbeit richtet den Blick auf z.T. schon lange schwelende Konflikte verschiedenster Art. Das Verbinden und Heilen der Wunden aus der Zeit der konfessionellen und religiösen, der nationalistischen und separatistischen Konfrontationen erfordert Kenntnis der Geschichte und der Verletzungen, Feingefühl und viel Geduld. So sieht Renovabis seine Aufgabe u.a. darin, im Dialog mit seinen Partnern Projekte und Prozesse anzustoßen, in denen es  um  Überwindung von vorausgegangenem Unrecht, von Diskriminierung oder verschiedenen Arten von Konflikten geht.

Erzbischof Nossol von Opole/Oppeln (Polen), dessen Beitrag für die Versöhnung von Deutschen und Polen nicht genug gewürdigt werden kann, bringt es auf einen kurzen Nenner:  „Versöhnung ist geheilte Erinnerung“.  

Das Gedenken an Pater Maximilian Kolbe, der in diesem Jahr vor 70 Jahren, am 14. August 1941, in Auschwitz für einen Familienvater Gewalt und letztlich den Tod erlitten hat, wird sicher viele Gelegenheiten bieten, das Thema der Versöhnung und ihrer spezifisch christlichen Grundlegung öffentlich anzusprechen und zu vertiefen.  

Versöhnung ist laut Statut eines der vorrangigen Ziele von Renovabis. In der Linie dieses Auftrages war Renovabis mit der Projektsteuerung des Versöhnungsfonds beauftragt gewesen. In diesem Geiste entstand das Zentrum für Dialog und Gebet in Auschwitz. In diesem Sinne wirken heute auch die Europaschulen in Bosnien, die Renovabis fördert und in denen kroatische Katholiken, muslimische Bosniaken und orthodoxe Serben gemeinsam lernen.

Versöhnung auf religiösem Gebiet bedeutet eine ökumenische Verpflichtung. Ökumene sehe ich nicht als eines von mehreren förderungswürdigen Feldern, auf denen Renovabis aktiv ist, sondern als einen Horizont, vor dem alle Aktionen und Projekte geprüft werden sollten.

Das 1993 vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken und den deutschen Bischöfen gemeinsam initiierte jüngste katholische Hilfswerk in der Bundesrepublik wird in diesem Jahr volljährig. Seit 18 Jahren gehören Pfingsten und Renovabis einfach zusammen. Wer aber bei einem Werk des Heiligen Geistes mitarbeitet, kommt nicht umhin, sich dem Geist Gottes als Instrument zur Verfügung zu stellen, damit dieser mit unserer Hilfe das Angesicht der Erde zu „renovieren“ (Ps 104) vermag.

Gut zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des „Ostblocks“ sind die meisten Länder dort zwar in wirtschaftlicher Hinsicht ein gutes Stück vorangekommen, zahlen dafür aber häufig einen hohen Preis. Der im Prinzip notwendige, de facto aber oft brutale Transformationsprozess hat für viele zu einer erheblichen und langfristigen Verschlechterung ihrer materiellen Lebensbedingungen geführt. Das soziale Gefälle wird größer, und es erweist sich jetzt als verhängnisvoll, dass es ein soziales Netz westlichen Zuschnitts praktisch nirgendwo im Osten gibt, nicht einmal in den neuen EU-Mitgliedsländern Ungarn, Polen oder der Tschechischen Republik.

Gerade weil das Interesse der bundesdeutschen Bevölkerung für Osteuropa wieder abnimmt, gilt es daher in aller Nüchternheit festzustellen: Solidarität mit unseren Nachbarn im Osten wird noch lange notwendig sein. Sie jetzt im Stich zu lassen, wäre unverantwortlich, ja töricht. Denn viele der Probleme, die unseren Partnern im Osten heute zu schaffen machen (HIV-Aids, Migration, Frauenhandel, Umweltzerstörung) kennen keine Grenzen und erfordern definitiv eine gemeinsame Verantwortung.

Ich würde mich freuen, wenn Ackermann-Gemeinde und Renovabis noch mehr in der Förderung grenzüberwindender persönlicher Kontakte zusammenarbeiten  können, etwa im Bereich der Freiwilligenarbeit. Denn Solidarität in Europa ist ja gerade unter Christen keine Einbahnstraße, sondern bedeutet für Ost und West die Chance einer „gegenseitigen Ergänzung“, eines beide Seiten bereichernden „Austauschs der Gaben“, wie Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Ut unum sint“ (Nr. 57) unterstreicht. Seine Seligsprechung in diesem Jahre sollte uns anspornen, das Erbe dieses großen Europäers und Versöhners weiterzutragen.

 

Kontakt zu Renovabis: www.renovabis.de

P. Dartmann (l.) zu Gast beim AG-Bundesvorstand.