Tschechische Sprache und böhmische Kultur

Schon während des politischen Tauwetters vor dem Prager Frühling gab es mutige Versuche tschechischer Filmemacher der „neuen Welle“, die damals in der Tschechoslowakei gängigen Stereotypen von den „bösen Deutschen“ und den „edlen tschechischen Partisanen“ aufzubrechen. Das war eine von vielen wichtigen Erkenntnissen, die die Teilnehmer der XXI. COLLOQUIA USTENSIA in Aussig/Ústí n.L. gewannen.

Vom 19. August bis zum 1. September waren wieder rund 40 Frauen und Männer an der vom Institutum Bohemicum – Kultur- und Bildungswerk der Ackermann-Gemeinde - und Aussiger Universität organisierten Sommerakademie zusammen gekommen. Neben dem vormittäglichen Sprachkurs informierten sich die Gäste bei Ausflügen, Besichtigungen, Vorträgen und Filmen über Land und Leute. So überraschte der 1966 gedrehte und nach 1968 verbotene Film „Wagen nach Wien“ mit einer klaren Absage an das damals in der Tschechoslowakei gängige Freund-Feind-Denken gegenüber den Deutschen. Der Film spielt zu Kriegsende und zeigt die Entwicklung des Verhältnisses zwischen einer tschechischen Witwe, deren Mann von Deutschen ermordet worden war, und einem deutschen Soldaten, er endet mit Mord und Vergewaltigung durch tschechische Partisanen. Offensichtlich war also schon damals ein Denkprozess in Gang gekommen, der zu einer Entkrampfung der Einstellung gegenüber den Sudetendeutschen hätte führen können, wenn er nicht durch den sowjetischen Einmarsch 1968 abrupt gestoppt worden wäre.

Ein aktuelles Beispiel für Vergangenheitsbewältigung ist die Wanderausstellung „Vernichtete Kirchen in Nordböhmen“, die die Teilnehmer in der Beuron-Kapelle in Teplitz-Schönau/Teplice zu sehen bekamen. 536 Kirchen, Kapellen, Klöster, Synagogen und jüdische Friedhöfe sind allein in der Region Aussig/Ústi n.L. zwischen 1945 und 1989 verschwunden. Mit einem Film und anhand von zahlreichen Beispielen und Bildern dokumentiert die Ausstellung diesen Vorgang. Anlässe für die Vernichtung der Kulturdenkmäler waren die Schaffung eines freien Grenzstreifens zu den „Bruderländern“ DDR und Polen, die Einrichtung eines Truppenübungsplatzes, der Braunkohle-Tagebau, die Flutung von Tälern mit neuen Stauseen, oder einfach das Desinteresse und die Kirchenfeindlichkeit der kommunistischen Machthaber. „Gut, dass es diese Ausstellung gibt! Sie macht breite Kreise der tschechischen Bevölkerung auf diese Kulturschande aufmerksam“, so die einhellige Meinung der Besucher.

Prof. Karl-Heinz Plattig, Mit-Begründer der COLLOQUIA USTENSIA und Ehrenbürger seiner Heimatstadt Bilin/Bílina, sorgte mit der von ihm und der Biliner Stadtverwaltung organisierten Exkursion in den Biliner Braunkohle-Tagebau und das benachbarte Kraftwerk für den Höhepunkt der erlebnisreichen Wochen. In der 200 Meter tiefen Grube den riesigen Schaufelradbagger in Aktion zu sehen hat bei allen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ein Besuch mit Turm-Besteigung im herrlichen Jugendstil-Rathaus und Empfang beim Stellvertretenden Biliner Bürgermeister, sowie eine Abendmesse in der Stadtkirche St. Peter und Paul, - zelebriert von dem aus dem Egerland stammenden Fürther Pfarrer Markus Goller und dem Biliner Erzdechanten Martin Saj – rundeten den Tag ab.

Prof. Ivan Farský, Geologe an der Aussiger Universität, referierte nicht nur besonders anschaulich über die geologischen Besonderheiten des Erzgebirges. Er führte die Gruppe auch durch das Zinn-Bergwerk von Graupen/Krupka, das 1957 geschlossen und vor einige Jahren für Besucher zugänglich gemacht wurde. Wer weiß, vielleicht wird ja nach den jüngsten Zinn-Funden auf der sächsischen Seite des Erzgebirges auch in Nordböhmen wieder an die Tradition des Zinn-Bergbaus angeknüpft?

Die Ausstrahlung der böhmischen und Aussiger Kultur auf ganz Europa hatten zwei Vorträge über Malerei und Musik zum Thema. Jana Hubková vom Aussiger Stadtmuseum stellte den Maler Anton Raphael Mengs vor. 1728 in Aussig geboren, wurde er zu einem der gefragtesten Portrait-Maler in ganz Europa. Der Kurfürst von Sachsen, der König von Spanien und sogar der Papst zählten zu seinen Kunden.

Adolf Ullmann, früherer Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde, war gekommen, um über die Bedeutung Böhmens für die Musik in Europa zu berichten. Über Jahrhunderte hinweg zogen böhmische Musiker zu den europäischen Musik-Zentren und nahmen dort bestimmenden Einfluss auf die Entwicklung neuer Stilrichtungen. So stammten die maßgeblichen Komponisten der „Mannheimer Schule“ im 18. Jahrhundert aus Böhmen. Sie waren es, die die engen Regeln der Barock-Musik überwanden und den Boden für die klassische Musik von Mozart und Beethoven bereiteten. Der positive Einfluss böhmischer Musiker auf die europäische Musik endete erst zu der Zeit, als in Böhmen der Nationalitätenstreit zwischen Deutschen und Tschechen einsetzte. War es also vielleicht gerade die Symbiose von deutscher und tschechischer Lebensart, die die böhmische Musik-Kultur so fruchtbar für Europa gemacht hatte?

Auch eine deutsch-tschechische Komponente hatte die Ausstellung „Freiheit und Liebe“ des COLLEGIUM BOHEMICUM. In Zusammenarbeit mit dem „Zentrum der verfolgten Künste Solingen“ wurden Exponate von Künstlern gezeigt, die unter dem Nationalsozialismus und/oder dem Kommunismus verfolgt worden sind. Neben Zeichnungen und Gemälden war die Prager deutschsprachige Literatur vom Beginn des letzen Jahrhunderts bis heute, von Rilke bis zu Rudiš ein weiterer Schwerpunkt der Exposition.

In weiteren Vorträgen wurden die „Sudetendeutsche Anstalt für Landes- und Volksforschung in Reichenberg“ zur Zeit des Sudetengaus, die Geschichte der Industrie im Schluckenauer Zipfel, die Technik des Kletterns im Böhmischen Sandsteingebirge und Eindrücke von einer Pilgerwanderung durch Portugal und Spanien präsentiert. Weitere Ausflüge führten zu den Schlössern nach Bensen/Benešov nad Ploučinci, ins Staatsarchiv nach Leitmeritz/Litoměřice, und in das Denkmalschutzareal in Schönpriesen/Krásné Březno.

Während der Sommerakademie waren die Teilnehmer in einem Studentenheim untergebracht, das wegen der Semesterferien zu dieser Zeit leer stand. Der Tagesablauf war straff durchorganisiert. Jeder Morgen begann um 7.30 Uhr mit dem Angebot einer Morgenandacht, das durchgängig von mehr als der Hälfte der Teilnehmer wahrgenommen wurde. Nach dem Frühstück um 8.00 Uhr war schon um 8.30 Uhr Singen tschechischer Lieder angesagt, bevor es um 9.00 Uhr zum vormittäglichen Sprachunterricht ging. Gelernt wurde in fünf leistungsgerechten Kleingruppen unter Anleitung von hoch qualifizierten Lehrern der Aussiger Universität. Nach dem Mittagessen um 12.30 Uhr ging es meist schon um 13.30 mit dem Bus zur Exkursion, die bis zum Abendessen um 18.00 Uhr dauerte. Um 19.30 Uhr begann der abendliche Vortrag mit Diskussion und gemütlichem Ausklang.

„Eine Erholung ist das nicht, aber erlebnisreich“, kommentierten Teilnehmer das anspruchsvolle Programm. Sie freuen sich schon auf die nächste Sommerakademie, die am 18. bis 31. August 2013 stattfinden wird. Zusätzlich laden die Organisatoren alle Teilnehmer, Freunde und Interessenten der COLLOQUIA USTENSIA zum Zwischentreffen ein, das am 15. bis 17. März 2013 in Bremen stattfinden wird. Ansprechpartner dafür ist Christoph Lippert (e-Mail: info(at)lti-training.de).

 

Christoph Lippert

In der Biliner Grube: Die Colloquia-Teilnehmer ganz unten.