„Quo vadis, Demokratie? – Spaltet Populismus unsere Gesellschaft?“
Bericht vom 29. Rohrer Forum vom 3.-5. Mai 2024: Den Einstieg in das Thema gestaltete Martin Panten, Parkstetten, mit seinem Impulsreferat, das er vor allem aus seiner Sicht als Bürgermeister beleuchtete.
„Weil ich Sie grad treffe …“ bezeichnet einen der Gründe, warum er Besuche des Wertstoffhofs vermeide und vor allem nicht allein absolviere. Unangenehmer war ein Ereignis in seiner Gemeinde am 14. Januar, bei dem laut Polizei 11.000 Menschen einer Protestaktion von Landwirten, aufgerufen durch den „Addnfahrer“ Thomas Willibald gefolgt sind. Rufe wie „Wir haben die Schnauze voll!“ mischten sich mit Aussagen wie, alle Parteien seien nicht mehr wählbar. Oder: Das Volk müsse wieder zusammenrücken.
Somit ergäben sich drei Elemente des Populismus: eine starke Elitenkritik, eine Kritik demokratischer Verfahren und die Behauptung, die wahren Interessen des Volkes zu vertreten.
Populistische Aussagen kämen teilweise aber auch aus regierungsbeteiligten Parteien. So habe der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger in einer Rede gesagt, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie „zurückholen und Berliner Chaoten vor sich hertreiben“.
Dr. Andreas Kalina von der Akademie für politische Bildung erläuterte in seinem Vortrag „Kosmopoliten versus Kommunitaristen“ auf lebendige und anschauliche Weise, wie Populismus und Europaskeptizismus unsere Gesellschaft spalten.
In einem Zeitalter globaler Umbrüche und Unsicherheiten erwachse durch Statusverlustängste und Orientierungsverlust der Bürger und Bürgerinnen wachsender Druck auf die freiheitliche Demokratie. Der gesellschaftliche Wandel, verbunden mit nachlassender Bindung an gesellschaftliche (Groß-) Organisationen führe zu einem Orientierungsdefizit, die sich durch eine Identitätskrise angesichts von Europäisierung und Migration und Abstiegsängste infolge Globalisierung, Digitalisierung, Klima- und Energiekrise äußerten. Dies führe zu einer Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Politische Konfliktlinien wie „Links“ und „Rechts“ würden zunehmend durch solche wie „GAL (Liberal-kosmopolitisches Lager) und „TAN (Kommunitaristisch-nationalistische Positionen)“ ersetzt.
Bei der Diagnose des gesellschaftlichen Zustands Deutschlands stellte Kalina dar, dass die Bewertungen zwischen den gesellschaftlichen Polen durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden. Allerdings habe sich trotz einer insgesamt stabilen Gesamtsituation eine Tendenz zu eher düsteren Zukunftsaussichten, einer Entfremdung von der Regierungspolitik und Misstrauen in die Konfliktlösungsfähigkeit der Politik entwickelt.
Hier setzten populistische Verführungen an: Es gäbe einen ausgeprägten (exklusiven) Wahrheitsanspruch, gleichzeitig würden Social Media als direkte Kommunikationslogiken ohne Journalisten oder Moderatoren genutzt. Die digitale Ära führe zu viel mehr Vernetzung, verbunden mit viel mehr Fragmentierung und Polarisierung.
Populismus setze auf Konflikt als Selbstzweck anstatt ergebnis- und lösungsorientiert zu arbeiten. Dies führe neben der Auflösung des demokratischen Grundkonsenses zur Radikalisierung der politischen Ränder. So habe sich die Billigung politischer Gewalt in den letzten fünf Jahren verdoppelt.
Gleichzeitig ergäben Umfragen eine hohe Zustimmung zur Demokratie als Idee in Ost- wie Westdeutschland (größer 94%). Auch die Zustimmung zur Demokratie, wie sie in Deutschland funktioniert, hat sich in den letzten Jahrzehnten tendenziell erhöht auf momentan knapp 58%.
Zum Ende schlug Kalina einen Bogen zur Revitalisierung der Demokratie durch Eingehen auf strukturelle Herausforderungen wie Aktivierung des vorpolitischen Raums, Reaktivierung der Parteiendemokratie und Stärkung parlamentarischer Prozesse. Politik müsse Integrationslösungen erarbeiten und glaubwürdig vorleben. Doch neben den politischen Akteuren seien auch Medien, zivilgesellschaftliche Akteure, die Wirtschaft und wir als Bürgerinnen und Bürger gefragt, um eine Basis für Vertrauens- und Gemeinschaftsbildung herzustellen.
Dr. Michael Weigl von der Universität Passau referierte zum Thema „Demokratie unter Druck? – Rechtspopulismus in Europa“. Zunächst ging er auf den Umbau der „Hinterbühne“ ein. So seien die Grundlagen für die Etablierung der klassischen Parteienstruktur zunehmend fragmentiert und erodiert. Dies sei ein Prozess, der in anderen europäischen Ländern teilweise viel stärker fortgeschritten sei.
Populismus sei daher als neue Normalität zu begreifen, als Wettbewerb. Um die Abwehrkräfte der Demokratie zu stärken, müsse der notwendige Umbau gestaltet und glaubwürdig kommuniziert werden. Wettbewerb bringe nur dann etwas, wenn auch die Systeme der Demokratie gestärkt würden. Populisten seien thematisch nicht zu stellen, da sie Fakten nicht anerkennen würden.
Bis dato waren populistische Umbauversuche politischer Systeme nur in jungen (vulnerablen) Demokratien wie in Ungarn und Polen erfolgreich. Stabile Demokratien beantworteten Zentrifugalkräfte mit der Stärkung politischer und gesellschaftlicher Zentripetalkräfte. Jedoch könnten auch in etablierten Demokratien Schwach- und Blindstellen zur Umgestaltung von Institutionen in eigenem Interesse genutzt werden, wie z.B. in Italien.
Im letzten thematischen Beitrag betrachtete Frau Simona Pöder-Innerhofer Ph.D., Brünn/Brno, inwieweit der Populismus dem Antisemitismus den Weg bereite, dies aus Sicht der Situation in der tschechischen Republik. Sie begann mit einer begrifflichen Definition des Begriffs Antisemitismus. Er sei gekennzeichnet durch Hass, Verschwörungstheorien und Schuldzuweisungen. Es sollte neben dem Begriff des Antisemitismus auch die Ausprägungen von Antijudaismus (Judenhass) und Antizionismus (gegen den Staat Israel) beachtet werden. Genaugenommen seien die Araber des Nahen Ostens nämlich ebenfalls Semiten.
Insgesamt sei ein deutlicher Anstieg des Antisemitismus in der tschechischen Republik zu beobachten. 97% der gemeldeten Fälle ereigneten sich in sozialen Medien. Jedoch würden Rechtsextreme teilweise Israel als Bollwerk gegen den Islam wahrnehmen. Dies sei auch in anderen Ländern wie Österreich und Italien so. So habe es gute Kontakte von Persönlichkeiten wie Mateo Salvini und Heinz-Christian Strache mit der Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegeben.
Allerdings seien die Ausprägungen durchaus widersprüchlich. Einerseits gäbe es eindeutig proisraelische Positionen, aber keine projüdischen. Jüdische Rituale würden wiederholt als mittelalterlich kritisiert. Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen enthielten auch antijüdische Argumente.
Neben den interessanten und aktuellen politischen Themenpunkten gab es beim Rohrer Forum natürlich auch ein kulturelles und religiöses Begleitprogramm für die etwa hundert Teilnehmer: Erstmals gab es eine gesangliche Darbietung von Norbert Burger, begleitet von Catrin Herter am Klavier: Ausschnitte aus „Die Winterreise“ von Franz Schubert.
Zu erwähnen sind weiters der traditionelle deutsch-tschechische Begegnungsabend (Maitanz mit Grillen – dieses Mal wieder bei bestem Wetter). Der weltkirchliche Gottesdienst mit Abt em. Pater Gregor, dieses Jahr unterstützt durch Pater Yves, Neutraubling, der aus Kamerun stammt, bildete ein beeindruckendes spirituelles Erlebnis unserer Gemeinschaft, die sich musikalisch, in Texten und mittels Bändern und Steinen einbringen konnte.
Michael Schuch