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Themenzoom über Deutsche Grenzopfer des Eisernen Vorhangs der Tschechoslowakei (1948 – 1989)

„Deutsche Grenzopfer des Eisernen Vorhangs der Tschechoslowakei (1948 – 1989) standen im Mittelpunkt des Oktober-Themenzooms der Ackermann-Gemeinde am Abend des 3. Oktober, des Tages der Deutschen Einheit. Insgesamt 42 PCs mit natürlich weit mehr Interessenten verfolgten die Ausführungen des Historikers Dr. Mikuláš Zvánovec zu eben diesem Thema.

Der Eiserne Vorhang entlang der ČSSR und seine deutschen (Todes)Opfer

 

Den Referenten und seinen Forschungsgegenstand stellte Moderatorin Sandra Uhlich vor. Das Projekt wurde im Forschungsverbund „SED-Staat“ an der Freien Universität (FU) Berlin durchgeführt und Anfang dieses Jahres abgeschlossen. Zvánovec konzentrierte sich dabei vor allem auf die Schicksale der deutschen Todesopfer des Eisernen Vorhangs in der Tschechoslowakei. Von der FU Berlin initiiert, wurde es in Kooperation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den ehemaligen Ostblockstaaten bearbeitet und untersucht die Grenzzwischenfälle am Eisernen Vorhang, bei denen vor allem DDR-Flüchtlinge, aber auch Bundesbürger ums Leben kamen. Bei der Ackermann-Gemeinde ist Zvánovec zudem als Geschäftsführer der Bernard-Bolzano-Gesellschaft kein Unbekannter. Seit 2008 ist er auch als Reiseleiter tätig, unter anderem mit dem Schwerpunkt Aktiv-Radreisen. Seine Doktorarbeit hat er zur Thematik „Der nationale Schulkampf in Böhmen: Schulvereine als Akteure der nationalen Differenzierung (1880 – 1918) geschrieben und ist auch als Buch erschienen. In das durchaus „ernste Thema“ führte dann Moderator Rainer Karlitschek ein und verwies auf das Forschungsprojekt der FU Berlin.

Einleitend nannte Zvánovec die Zahl von 59/60 im sog. biografischen Handbuch bestätigten deutschen Todesopfern am Eisernen Vorhang zwischen 1948 und 1989: 29 DDR-Bürger, 19 Sudetendeutsche bzw. Staatenlose und zwölf Bundesbürger. „Aber es gibt darüber hinaus viele Opfer, die nie identifiziert wurden“, relativierte er. Zudem werden hier die Opfer im Zuge der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nicht einbezogen – allein 1946 etwa 87 Personen. Rund 8000 illegale Grenzübertretungen von Sudetendeutschen, die als Häftlinge oder Kriegsgefangene noch in der ČSSR waren, nannte der Referent. Als Grund gab er an, dass diese damit einer Umsiedlung ins Innere des Landes entgehen wollten. Die Folgen waren der Ausbau der Grenzanlagen auf der einen und die Zunahme von Schleusern und Schmugglern auf der anderen Seite. Einige tragische Ereignisse passierten in diesem Kontext. So zum Beispiel am 1. Juli 1950 die Erschießung von Franz Linzmayer oder ein Todesschuss aufgrund von Hörproblemen nach einem Ballbesuch oder am 22. Oktober 1949 die Schüsse aus nächster Nähe auf den aus Daberg (Furth im Wald) stammenden Franz Stauber – im letzten Fall erhielt der Täter eine Amnestie. Ab 11. Juli 1951 gab es eine neue gesetzliche Grundlage, die militärische Grenzverteidigung nach sowjetischem Vorbild: Berufsgrenzsoldaten, Waffengebrauch auch ohne Vorwarnung und Aufbau des tatsächlichen Eisernen Vorhangs mit elektrischer Sicherung (4000 Volt). „Ab da gab es auch Todesopfer durch Stromschlag, darunter auch Sudetendeutsche“, schilderte Zvánovec. Einige Zeit wurden Opfer aus der Bundesrepublik Deutschland verschwiegen, später gab es die Pflicht zum Matrikeleintrag. „Bayerische Grenzsoldaten wurden ebenfalls getötet, weil sie Spionage witterten. Doch alle Vorwürfe wurden seitens der zurückgewiesen“, erläuterte der Vortragende.

Ab den 1960er Jahren bildeten hinsichtlich der Herkunft der Grenzopfer die Personen aus der DDR den Großteil. Hintergrund waren inzwischen der Eindruck einer nicht mehr so stark bewachten Grenze (1965 Abschaffung der elektrischen Grenzsicherung an der Westgrenze) und die Aufhebung der Visumspflicht. Zunächst wuchs die Zahl im Jahr 1968 (Prager Frühling) an, ab 1972 waren DDR-Bürger die größte Gruppe, Ende der 1980er Jahre schließlich 90 Prozent. Neben Westböhmen (Richtung Bayern) wurde auch die Fluchttrasse nach Österreich (Grenze Südmähren bzw. slowakischer Landesteil) genutzt. Hier waren aber Flüsse zu überwinden, weshalb es zu Opfern durch Ertrinken kam. Selbst im Sommer 1989 gab es noch Opfer auf dem Weg nach Ungarn, die von Grenzer-Hunden getötet wurden. Tragisch war 1986 der Fall des Wanderers Johann Dick aus Amberg, den die ČSSR-Grenzsoldaten mit einem flüchtigen Polen verwechselten und erschossen und die Leiche in ihr Zuständigkeitsgebiet verschleppten. „Das war historisch der erste Fall, wo die ČSSR die Schuld am unschuldigen Tod zugeben musste“, betonte Zvánovec. Oder der Fall des Zollobersekretärs Anton Kreim, der am 14. Oktober 1972 in den Räumten des Zollamts am Grenzübergang Furth im Wald/Schafberg von einem alkoholisierten tschechischen Grenzer hinterrücks erschossen wurde.

Ab 1995 wurden in Tschechien die Voraussetzungen geschaffen, um viele dieser Fälle zu rekonstruieren und juristisch neu aufzuarbeiten. Bei späteren Rekonstruktionen der Fälle ergaben sich oft eklatante Unterschiede zwischen den Darstellungen der Augenzeugen und den offiziellen Dokumenten. „Bezüglich der Todesfälle der Deutschen gab es aber meist Freisprüche, Mordabsicht war nicht nachzuweisen. Insgesamt wurden nur vier Urteile vollstreckt“, blickte der Referent auf diese ersten Beschäftigungen zurück. Eine neue Entwicklung gab es ab 2016, als die Staatsanwaltschaft Weiden mit einer Klage die Angelegenheit wieder aufnahm und die tschechische Staatsanwaltschaft dies unterstützte. Angeklagt wurden nun alle in der damaligen Befehlskette Verantwortlichen bis hinauf zum politisch höchsten Rang. In den meisten der Fälle sind die Angeklagten entweder sehr alt oder bereits tot, so dass vielfach zwar die Ermittlungen aus gesundheitlichen Gründen bzw. post mortem eingestellt, aber doch Strafen ausgesprochen wurden – also „eine geschichtliche Rehabilitierung der deutschen Opfer erreicht wurde“, auch für nach Fluchtversuchen Behinderte. Abschließend zeigte Zvánovec Bilder von Denkmälern in Tschechien, auf denen – zusammen mit anderen – deutsche Flucht- und Grenzopfer namentlich genannt sind.

In der Aussprache bzw. Diskussion wurden auch die tschechischen Toten an der Grenze angesprochen. Die bis heute andauernde juristische Aufarbeitung sollte zum einen den „verbrecherischen Charakter des kommunistischen Regimes“ verdeutlichen, aber auch klarmachen, dass Morde nicht verjähren. Laut Zvánovec können noch 67 Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Tatsache, dass die aktuell noch laufenden Klagen nicht nur deutsche, sondern auch tschechische Opfer betreffen, bringt eine stärkere Identifikation, „das Thema wird mit Aufmerksamkeit verfolgt“, so der Referent. Namentlich nannte er den Prager Rechtsanwalt Lubomír Müller, dem schon viele Rehabilitierungen zu verdanken sind.

Markus Bauer

Moderatorin Sandra Uhlich stellte den Historiker Dr. Mikuláš Zvánovec vor.
Ins Thema führte Moderator Rainer Karlitschek ein.
Der Historiker Dr. Mikuláš Zvánovec bei seinen Ausführungen.