Neues Handbuch zur Religions- und Kirchengeschichte in Tschechien vorgestellt

Ein knapp 1000 Seiten starkes Werk informiert nun über die jüngste Religions- und Kirchengeschichte Tschechiens. Das Collegium Carolinum hat in enger Kooperation mit der Ackermann-Gemeinde das „Handbuch der Religions- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder und Tschechiens im 20. Jahr- hundert“ erarbeitet und am 23. März in der Ludwig-Maximilian-Universität vorgestellt. Neben den Herausgebern referierten bei der Buchpräsentation der frühere Kultusminister Prof. Dr. Hans Maier und der Präsident der Tschechischen Christlichen Akademie Prof. Dr. Tomáš Halík.

Der Vorsitzende des Collegium Carolinum und Herausgeber des Handbuches Prof. Dr. Martin Schulze Wessel verwies in seiner Einführung darauf, dass auch die Politik in den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert von Religion geprägt gewesen sei. Er nannte die nach 1918 entstandene tschechische Nationalkirche und die Verluste durch Vernichtung bzw. Vertreibung der Juden und Deutschen im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Er erinnerte an die Vorarbeiten von Prof. Dr. Ferdinand Seibt und freute sich, dass deutsche und tschechische Forscher an dem Projekt beteiligt waren. Gleichermaßen Hoffnung und Furcht hatte Schulze Wessel, dass das Buch angesichts der dynamischen Entwicklung in Tschechien bald überholt sein könne. Dank sprach er den Kooperationspartnern und Sponsoren (Deutsche Bischofskonferenz, Renovabis, Ackermann-Gemeinde, Franz Olbert) sowie dem Oldenbourg Wissenschaftsverlag aus, der das Erscheinen in nur sechs Wochen realisierte, und an den für die Konzeption zuständigen Herausgeberkollegen Dr. Martin Zückert, der als „ständige Triebkraft“ das Projekt wesentlich begleitete.

„Der Gedanke für dieses Handbuch war schon vor Jahren bei der Ackermann-Gemeinde entstanden“, blickte der Ehrenvorsitzende dieser Gemeinschaft Dr. Walter Rzepka auf Überlegungen von Pater Angelus Waldstein OSB zurück. im Februar 2003 habe Franz Olbert die Idee Professor Seibt vorgetragen. Nach Seibts Tod „hat Professor Schulze Wessel die Idee aufgegriffen und das Forschungsprojekt begründet“, erläuterte Rzepka und dankte den Vertretern des Collegium Carolinum. „Das Buch gibt einen Anstoß zur sachlichen Diskussion und dazu, die Geschichte mit ihren hellen und dunklen Seiten zu verstehen“, meinte der Ehrenvorsitzende und sah die Fördermittel (Versöhnungsfonds der Katholischen Kirche in Deutschland) als „Ansporn, die Forschungsergebnisse in den Dienst der Versöhnung zu stellen, und ehrlich auf dieser Basis den Versöhnungsprozess zu gestalten.“

Sein Thema „Zum Spannungsverhältnis von Nation und Kirche“ beleuchtete Professor Maier anhand von zwei Aspekten: das Problem des Nationalismus im Christentum von den Anfängen bis zur Schwelle der Neuzeit und die nationale Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert mit ihrer Einwirkung in den Katholizismus. Maier nannte die für einzelne Völker stehenden Völkerengel, die den Frieden verkündenden Engel bei Christi Geburt, die Theorien im Römerreich und im frühen Christentum und die christliche Anschauung des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ vom Mittelalter bis Anfang des 19. Jahrhunderts, wo Universalmächte (Kaiser und Papst) die Zentren der Macht darstellten. Erst im 19. Jahrhundert bzw. nach 1918 sei, so Maier, das „Europa der Staaten und Nationen“ entstanden, die Kirche habe sich lange gegen neue nationale Bestrebungen gewehrt und sei den bestehenden Mächten (Habsburger, Zar) verbunden geblieben. Für das 19. Jahrhundert skizzierte Maier die Haltung der Katholiken im Jahr 1848, die mit dem Katholizismus verbundenen großdeutschen Konzepte bzw. die mit dem Protestantismus in Verbindung stehenden kleindeutschen Bestrebungen bis 1866 sowie die innerkatholische Reformbewegung (z.B. Görres-Gesellschaft, Volksverein) Ende des 19. Jahrhunderts als „erneuernder, reichsloyaler Katholizismus“, der aber politisch wenig Auswirkungen brachte. „Erst in der Weimarer Republik war der Weg für Katholiken in höchste Staatsämter offen“, stellte der Referent fest und nannte die Zentrumspartei. Hitlers „Großdeutschland“ habe Erinnerungen an das 19. Jahrhundert geweckt und daher Zustimmung auch bei Katholiken gefunden. Schließlich beschrieb Maier die Unterschiede in der Nachkriegsentwicklung Deutschlands (Europaorientierung) und der Nachbarländer (Nationalstaat als Alternative zu den sozialistischen Bündnissen, Heimatliebe und Nationalgefühl weniger diskreditiert).

Zum Thema „Die Kirchen in der Tschechischen Republik und das historische Erbe“ sprach Professor Halík. Er ging ein auf die klerikale Struktur der verfolgten Kirche während des Kommunismus, die zum Teil bis heute fortbestehe oder am Mangel an qualifizierten Kräften festzumachen sei. „Die Kirche kann heute völlig frei arbeiten, wenn auch manche Dinge noch ungelöst sind“, meinte Halík im Blick etwa auf Besitzfragen oder die öffentliche  Darstellung kirchlicher Arbeit. Er zeichnete drei Typen von Religiosität: Wüste und Missionsbedarf in Grenzgebieten und Mittelböhmen; Gebiete, in denen die Volkskirche überlebt hat, aber auch die Mentalität einer Sekte oder belagerten Festung (gegen freie Gesellschaften und verdorbenen Westen) vorherrscht; Gebiete mit jüngeren, gebildeten Menschen, Sympathisanten aus der Zeit des Kommunismus, wo religiöse Haltungen mit politischen Meinungen verbunden waren, heute aber z.T. kritische Leute oder Konvertiten beheimatet sind.  „Perspektivisch eine wichtige Gruppe, die Einfluss gewinnen kann“, sah Halík diese dritte Gruppe, aber auch das Problem von nur wenig qualifizierten Priestern, die anspruchsvoll mit diesem Klientel arbeiten können. Daher gebe es nun  Angebote an der Prager Karlsuniversität, der Christlichen Akademie und auch in Zusammenarbeit mit der Ackermann-Gemeinde. Als Aufgabe der Evangelisierung sieht er neben Angeboten für die regelmäßigen Gottesdienstbesucher die Inkulturierung, also die Verknüpfung mit der Identität und Geschichte Tschechiens, wo früher eine große Frömmigkeit vorgeherrscht habe. „Die emotionale Bindung zwischen religiöser und nationaler Identität hat immer eine Rolle bei der Inkulturation gespielt. Der Kommunismus hat die Kirche dezimiert, aber auch zum Überleben des Glaubens beigetragen“, stellte Halík zusammenfassend fest.

Der Geschäftsführer des Collegium Carolinum Dr. Martin Zückert beschrieb besondere Herausforderungen für die Wissenschaftler und die Grundkonzeption sowie die Entstehung und Mitarbeiterzusammensetzung des Handbuches. „Wir hoffen, dass dieses Projekt und das Handbuch als Ausgangsbasis für weitere Studien dient“, schloss Zückert seine Ausführungen.

Markus Bauer

 

Das Institutum Bohemicum der Ackermann-Gemeinde hat einen Sonderdruck des Handbuches aufgelegt. Es kann von Mitgliedern der Ackermann-Gemeinde hier bestellt werden.

Prof. Halík und Prof. Maier bei der Präsentation im Senatssaal der Universität. (Foto: Cornelius Insel)
Prof. Halík und Prof. Maier