"Migration wird zur Selbstverständlichkeit!"

„Migration und Ethik - Weltkirchliche Herausforderung und sozialethische Reflexion", so lautete das Thema, mit dem sich 70 Teilnehmer des Rohrer Forums der Ackermann-Gemeinde vom 6. bis 8. Mai 2011 im Kloster Rohr/Ndb. befassten. Dazu konnten mit Prof. Dr. Albert-Peter Rethmann, Geistlicher Beirat der Ackermann-Gemeinde und Gründungsdirektor des Instituts für Weltkirche und Mission in Frankfurt und Martin Neumeyer MdL, Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, zwei exzellente Referenten gewonnen werden, die sich sachkundig einer intensiven Diskussion stellten.

Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter in Deutschland und Europa dauerhafter als Fragen zu Migration und Integration, auch wenn das Phänomen von den ärmeren Ländern dieser Welt um ein Vielfaches schwerer zu bewältigen ist als bei uns. Rethmann stellte die zentrale Frage: „Wie kann es gelingen, dass wir zu einem Miteinander finden und dass unsere Gesellschaft als eine Gemeinschaft von Menschen verstanden wird?“

Mit seinem Buch „Der Kampf der Kulturen“ habe der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington die These aufgestellt, der Konflikt der Supermächte werde im 21. Jahrhundert durch den Konflikt der unterschiedlichen Kulturen abgelöst. Eine heftige Diskussion entstand und die verheerenden Terroranschläge schienen ihm Recht zu geben. Rethmann mahnt jedoch zur Vorsicht: „Der Blick auf einen Konflikt kann wie eine ‚sich selbst erfüllende Prophezeiung’ zur Billigung eines Konfliktes führen. Jede Beschreibung der Wirklichkeit schafft diese gleichzeitig. Und wie man es auch aus dem zwischenmenschlichen Bereich kennt, die guten Beziehungen darf man nicht ausblenden!“

Eine biblische Annäherung an das Thema versuchte Rethmann über die Bezeichnung „Ger“ im Alten Testament. In Israel galt der Fremde als Schutzbedürftiger und genoss Privilegien, man erwies ihm Barmherzigkeit und hieß ihn willkommen. Später seien aus dem Gastrecht Schutzrechte, z. B. vor wirtschaftlicher Ausbeutung, entstanden, die über das Gebot der Gastfreundschaft hinausgingen. Über Familienkontakte und Feste sei der Fremde in das Land integriert worden. Im Selbstverständnis des jüdischen Volkes gebe es folglich einen dynamischen Integrationsbegriff. Man bleibt seiner Tradition treu und der andere soll die Chance bekommen zu verstehen und verstanden zu werden, bis endlich der Messias kommt und etwas Neues entsteht. Im Neuen Testament sei die universale Nächstenliebe das höchste Gebot. „Paulus sagt: Alle sind eins in Christus. Ob Einheimischer oder Fremder spielt dabei keine Rolle mehr, die Liebe schafft solche Grenzen ab.“

Kulturelle Vielfalt auf dem Boden gemeinsamer Werte 

„Damals wie heute“, so Rethmann, „führt Migration zu einer drastischen Veränderung der sozialen Lebensverhältnisse. Die Konfrontation mit Fremdheit gehört zu unserem Alltag. Diese Herausforderung zu gestalten, ist eine Bedingung menschlicher Entwicklung. Denn Fremdheit ist keine Eigenschaft, sondern Ausdruck einer wechselseitigen Beziehung. Fremd ist nur derjenige, der von anderen so wahrgenommen wird. Fremdheit ist demnach die Definition einer Beziehung, eine Konstruktion und keine natürlich Eigenart des Anderen.“ Dies schaffe Distanz und Angst, die nicht verdrängt werden dürfe. „Denn erst durch andere kann ich empfinden, dass mein eigenes Wertesystem in Frage gestellt wird.“ Rethmann wandte sich gegen Begriffe wie „Multikulti“ und „Leitkultur“. Diese könnten dabei irreführend sein und seien gelegentlich Ausdruck von Romantik, denn kulturelle Identitäten seien keine statischen Größen. Auch wenn es eine Gratwanderung sei: Nicht das Nebeneinander wird angestrebt, sondern die kulturelle Vielfalt auf dem Boden gemeinsamer Werte und Ziele. Jeder Bayer, jeder Norddeutsche fühle sich in die deutsche Gesellschaft integriert, auch wenn ihm das Berliner Milieu wahrscheinlich gar nicht vertraut sei und obwohl er Goethe und Thomas Mann womöglich gar nicht gelesen habe. Auch die Integration innerhalb Deutschlands sei also nur partikulär und wandelbar.

Die Selbstdefinition des Zuwanderers wird nach Rethmann ebenfalls auf den Prüfstand gestellt und ermöglicht eine neue Definition, wenn eine Bedingung erfüllt wird: Angstfreiheit. Angst vor sozialem Abstieg und Angst vor sozialer Ausgrenzung verhindere Integration und seien der Nährboden für sogenannte Re-Ethnisierungsprozesse, wie sie in der zweiten oder dritten Generation vorkämen. Rethmann betont: „Integration ist ein Prozess, der alle verändert. Sie muss zu einer Gesellschaft führen, in der sich jeder entwickeln darf, jeder anerkannt und gebraucht wird und jeder Zugang zum Bildungssystem hat, denn wir müssen damit rechnen, dass Migration eine Selbstverständlichkeit wird!“

Wir integrieren nicht Nationen oder Religionen, wir integrieren Menschen!

Er sieht seine Aufgabe als Ehre: Martin Neumeyer MdL, Mitglied des bayerischen Landtags seit 2003 und erster ehrenamtlicher Integrationsbeauftragter der bayerischen Staatsregierung hört den Menschen zu. Das ist eine Eigenschaft, die er von Kindesbeinen an im Wirtshaus seiner Eltern gelernt hat und die ihn von anderen Politikern unterscheidet. Mit den Menschen beim Stammtisch setzt er sich ebenso auseinander wie mit dem türkischen Imam oder mit Thilo Sarrazin – auch wenn es zuweilen unangenehme Antworten sind, die er gibt. Einfache Antworten lässt er nicht gelten. Er kommt den Menschen auf niederschwelligem Wege entgegen und zeigt an ungezählten Beispielen, dass und wie Integration gelingt. Er zeigt auf, dass die demografische Entwicklung uns keine Wahl lässt, dass der Zuwachs der rechten Parteien in Europa gestoppt werden muss und dass nicht nur Mesut Özil bei uns willkommen ist. Er hat türkisch gelernt, geht in die Moscheen und ermahnt: „Ihr lernt deutsch für Euch, nicht für Deutschland!“ Die Reduzierung der Diskussion auf bestimmte Religionen und Nationen will er nicht durchgehen lassen. Seine Ausführungen machten deutlich, dass Integration kein einfacher Prozess ist und kein Projekt der Eliten. "Mir ist es wichtig, mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu bleiben. Integration kann nur gelingen, wenn wir die Menschen in den Prozess mit einbinden und ihre Erfahrungen nutzen. Das gilt für die Menschen, die zu uns kommen genauso wie für die Menschen, die schon seit Generationen hier leben," so Neumeyer. In der Diskussion mit der Jungen Ackermann-Gemeinde betonte er: „Wir integrieren nicht Nationen oder Religionen, sondern Menschen!“

Die Veranstaltung wurde gefördert vom Katholischen Fonds für weltkirchliche und entwicklungsbezogene Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit und von der Hanns-Seidel-Stiftung e.V.

Margareta Klieber

M. Panten im Gespräch mit M. Neumeyer MdL (re.)