„Katholische Widerstandskämpfer aus dem Keller des Vergessens holen!“

Das Schicksal christlicher bzw. katholischer Sudetendeutscher zwischen 1938 und 1945 beleuchtete Dr. Otfrid Pustejovsky bei der Vortragsveranstaltung der Ackermann-Gemeinde und der Sdružení Ackermann-Gemeinde. „Nicht alle wollten ‚heim ins Reich‘. Sudetendeutsche Christen gegen die NS-Herrschaft 1938 bis 1945“ lautete Pustejovskys Referat, das auch vertiefende Informationen zur Ausstellung der Ackermann-Gemeinde „Zeugen für Menschlichkeit“ bot, die am Stand der Ackermann-Gemeinde zu besichtigen war.

Die Gedenkveranstaltung zum Münchner Abkommen vor vier Jahren in der KZ-Gedenkstätte Dachau rief in seiner Einführung der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde Matthias Dörr in Erinnerung. Als Beginn der Verfolgung und der Diktatur in den sudetendeutschen Gebieten „würdigte“ Dörr das Abkommen. Ebenso verwies er auf die Ehrung von durch die NS-Machthaber getöteten Sozialdemokraten und Kommunisten seitens der tschechischen Regierung im Jahr 2005. Doch auch sudetendeutsche Christen hätten aktiv Widerstand geleistet, was nun – dargestellt an zehn Personen – in der Ausstellung „Zeugen für „Menschlichkeit“ gezeigt werde. Besonders freute Dörr, dass der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka und Kulturminister Daniel Herman ebenso die Schirmherrschaft übernommen haben wie der Prager Erzbischof Kardinal Dominik Duka. „Die Kirchen in der Tschechischen Republik und in Deutschland waren immer schon Vorreiter in der Aufarbeitung von Geschichte und der Versöhnung“, erläuterte Dörr. „Neben den zehn präsentierten Personen gab es noch viele weitere“, stellte er fest und zeigte sich stolz, dass die Ausstellung – erstmals im September letzten Jahres zur Seligsprechung von Pater Engelmar Unzeitig in Würzburg gezeigt – inzwischen in vielen Städten Deutschlands und Tschechiens präsentiert wurde.

Von einem „tiefen Keller des Vergessens“ sprach einleitend Pustejovsky und zitierte aus Texten Dr. Karl Lanzendörfers (umgekommen am 20. Januar 1945 im KZ Buchenwald) und von Hanns Georg Heintschel von Heinegg ebenso wie das „BDM-Vater unser“ und das „Neue Lied der Hitler-Jugend“ - die zwei zuletzt genannten Texte schwörten allen christlichen Tugenden ab. „Lanzendörfer und Heintschel von Heinegg sind zwei Schicksale stellvertretend für Hunderte von Sudetendeutschen bereits vor 1938 bis 1945“, erklärte Pustejovsky. Er verwies aber auch auf die Bedeutung des Jahres 1938 für Tschechen und Sudetendeutsche und belegte das mit Sätzen aus dem Grußwort des Bundesvorstands der Sudetendeutschen Landsmannschaft zum Sudetendeutschen Tag 1981. „2016 wurde erstmals in Würzburg, danach in Dachau, jetzt beim Sudetendeutschen Tag und bald in München die andere Seite der Deutschen aus dem Sudetenland gezeigt“, verwies Pustejovsky auf die Ausstellung, erinnerte aber auch an die schon 2005 erfolgte Würdigung von sudetendeutschen Sozialdemokraten und Kommunisten im Widerstand gegen die NS-Machthaber durch die tschechische Regierung. Die Christen bzw. Katholiken seien aber „vergessene Helden“ gewesen, zumal die Vertriebenenorganisationen in Deutschland und Österreich besonders die Opfer des März 1919 sowie die Vertreibungsopfer im Fokus hatten. „Die Ackermann-Gemeinde hat seit über 40 Jahren nicht nur die tschechoslowakischen Unterdrückungsopfer, sondern auch die tschechischen NS-Opfer im Blick. Und nun wollen wir auch die vielen namenlos verfolgten Sudetendeutschen der NS-Zeit dem Vergessen entreißen“, verdeutlichte der Referent.

Akribisch und detailliert zeigte er die wichtigsten Entwicklungen im Deutschen Reich seit der NS-Machtübernahme Ende Januar 1933 sowie die unmittelbaren Ereignisse nach der Unterzeichnung des „Münchner Diktatvertrages“ auf, der für Pustejovsky der „erste Schritt in den Zweiten Weltkrieg“ gewesen sei: militärische Besetzung des Sudetenlandes, sofort erste Verhaftungsgruppe der Gestapo im Egerland, erster Transport mit sudetendeutschen Häftlingen ins KZ Dachau (bereits am 16. Oktober) bis hin zur flächendeckenden Präsenz der Gestapo bereits Anfang Oktober 1938. „Es ging Schlag auf Schlag mit der Durchsetzung des NS-Repressionsapparates“, konkretisierte Pustejovsky. Er verwies auch auf die Fluchtwellen, die Vergrößerung des Unterdrückungsgebietes nach der Errichtung des Protektorates Böhmen-Mähren, erklärte die Organisationsstruktur (gemeinsame Trupps von Gestapo, SD und Polizei; direkt von der Zentrale in Berlin geleitet und personell besetzt) und die Ausrichtung der Einsatzgruppen für die unterschiedlichen Städte – darunter auch Bedřich Pokorný, der später für den Brünner Todesmarsch und die Kirchenverfolgung in der ČSSR verantwortlich war.

Auch die Formen des Widerstandes bzw. der Obstruktion und Opposition skizzierte der Referent. Dabei ging es um das Hören von Feindsendern, Partisanenaktivitäten, religiöse Aktivitäten bis hin zu Konzepten über eine politische Neuordnung Europas nach dem Krieg. Vor allem hinsichtlich des letzten Punktes habe es auch Kontakte zur Weißen Rose und zu Dietrich Bonhoeffer gegeben. „Etwa 20 Prozent der Sudetendeutschen standen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Es ist wichtig, diese Menschen aus dem Keller des Vergessens zu holen“, fasste Pustejovsky zusammen und betonte, dass die Aufarbeitung dieses Themas eine wichtige Zukunftsaufgabe sei und „von der deutschen Publizistik bisher nicht zur Kenntnis genommen worden“ sei. „Es war ein Widerstand, der so weit ging, dass sie bereit waren, ihr Leben zu geben“.

Markus Bauer

Dr. Otfrid Pustejovsky bei seinem Vortrag, der auf großes Interesse stieß.