Gemeinschaft trotz Einschränkungen

Corona, oder genauer gesagt: unser Leben mit dem Virus ist verrückt – wirklich ver-rückt, denn vieles hat sich verschoben, seit wir Mitte März in Deutschland zur Bekämpfung einer Virusverbreitung und Pandemie staatliche Maßnahmen erlebt haben, die sich keiner so hat vorstellen können. Freiheitliche Grundrechte wurden – mit komplett logischen Argumenten und ganz innerhalb unserer Rechtsordnung – eingeschränkt, und plötzlich waren in Europa wieder Grenzen geschlossen. Um ganz konkret Leben zu retten, schien deren Schließung ganz vernünftig und das Gebot der Stunde: ver-rückte Zeit!

Das alles betraf und betrifft auch ganz konkret die Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Veranstaltungen wurden abgesagt: das Brünner Symposium, die Ostertage in Eglofs, Frühlingsplasto, das Rohrer Forum und der Rohrer Sommer – und da sind die Veranstaltungen in den Diözesen, Regionen und der Jungen Aktion noch gar nicht eingerechnet. Man muss es sagen: Das komplette Verbandsleben drohte plötzlich still zu liegen!

Die Corona-Krise spiegelt zum Teil schmerzlich, was wir bisher als normal und natürlich erlebt haben. Sie zeigt durch die plötzlichen Abwesenheiten von alltäglichen Selbstverständlichkeiten, welche sozialen Praktiken wir gewohnt sind und was unsere Stärken und unsere Schwächen sind. Kurz: Die Ausnahmesituation lädt uns ein, viele Dinge unseres Lebens und der Res publica, die öffentlichen Dinge, noch einmal zu reflektieren und neu zu überdenken. Wir merken, dass Fragen noch einmal von null an angegangen werden müssen. Für die Ackermann-Gemeinde wird es in ganz neuer Qualität heißen: Wie ernst ist es mit Europa? Sind die Fragen, die wir uns in den letzten Jahren gestellt haben, nun anders zu sehen? Was passiert etwa mit unseren Begegnungen? Oder wie sieht es denn eigentlich aus mit der spirituellen Praxis in unserem Verband – was hat die Corona-Zeit mit unserem Glauben gemacht, und was folgt etwa für unsere verbandliche religiöse Praxis? Wie steht es gerade jetzt mit unserer Kulturarbeit?

Ich persönlich kann der völlig überraschenden Chance dieser Art Stunde Null viel abgewinnen. Sie birgt viel kreatives, gedankliches und praktisches Potential.

Ein klein wenig davon konnten wir auch in den vergangenen Monaten schon erleben. Wir Ackerleute sind ja oftmals eine so herrlich beharrlich analoge Spezies. Unsere Arbeit scheint dann gut, wenn sie konkret in der Begegnung vis à vis sichtbar wird. Wir machen noch Wallfahrten, reisen zu unseren östlichen Nachbarn, wir musizieren in Rohr, der Ackermann wird noch gedruckt und haptisch in Händen gelesen – und oftmals fremdeln wir noch mit den neuen sozialen Medien, die unser Verbandsleben – Twitter, Facebook, war da was? – nur mäßig prägen.

Das war auch zum Teil jetzt während der Pandemie so. Die Diözesanstelle in München verschickte an viel  ihrer Mitglieder per Post an Ostern eine Kerze, Weihwasserfläschchen und ein verbindendes Gebet. Gar nicht verrückt, sondern sehr sinnlich!

Genauso die „Samstage für Nachbarschaft“! Die Idee ist hochgradig symbolisch, einfach, analog und schlagend zugleich: Von zwei Seiten aus begeben sich auf einen Wanderausflug Deutsche und Tschechen in der Grenzregion, um sich beispielsweise auf dem Großen Osser, auf dessen Gipfel die deutsch-tschechische Grenze verläuft, zu verabreden und machen dann dort gemeinsam Brotzeit. Jeder natürlich auf seiner Seite der Grenze und mit dem nötigen Mindestabstand! Offiziell ist das eine Demonstration und daher auch rechtlich unter wohlwollender polizeilicher Beobachtung gut geschützt und erlaubt. Das Bundesvorstandsmitglied Christoph Mauerer und die AG Regensburg melden das an und können sich über die Wirkung nicht beschweren. Politiker nehmen teil, die Presse berichtet. Da wird etwas wieder klargerückt.

Und dann wurde es doch noch digital: Seit sich die Eglofs-Gruppe in der Osterwoche per Zoom verabredete, um Morgenstatios, Kreuzweg, Ostersingen und den Bunten Abend in einen digitalen Meeting-Room zu verlegen, war der Schritt nicht mehr weit: Inzwischen ist Dienstag Ackermann-Tag mit ackermann@themenzoom um 20.15 Uhr und ackermann@kulturzoom um 21.30 Uhr. Bisher haben der ZdK-Präsident Thomas Sternberg, der Hauptgeschäftsführer von Renovabis Christian Hartl genauso teilgenommen wie der slowakische Autor und Journalist Michal Hvorecký oder die tschechische Piraten-Abgeordnete Olga Richterová (sie ist Vorsitzende der deutsch-tschechischen Parlamentariergruppe). Sie alle geben jeweils einen kurzen thematischen Input. Dann ist Zeit für Rückfragen der Teilnehmer. Um etwa 21 Uhr ist Schluss, bevor es um halb zehn weitergeht beim kulturzoom, bei dem bisher etwa der Poetry-Slammer Jaromír Konečný genauso wie Alena Wagnerová oder Janina Klinger eine Lesung gaben, Familie Kocher stellvertretend für den Rohrer-Sommer ein Hauskonzert übertrug oder bei einer Live-Schaltung ins legendäre Divadlo Na zábradlí/Theater am Geländer deutsch-tschechisches Kabarett oder eine Stadtführung durch das leere nächtliche Prag zu erleben war.

Durchschnittlich sind inzwischen rund 50 Haushalte zugeschaltet und treffen sich so zwar örtlich getrennt, aber über alle Grenzen und Einschränkungen hinweg. Inzwischen ist auch das schon wieder so etwas wie neuer, lebensfroher und -bejahender Alltag.

Ver-rückte Zeiten? Krise? War da was?

Rainer Karlitschek

 

Gemeinschaftserlebnis per Internet. (Foto: Eva Dalkmann)