Frauenhandel ist europäische und deutsch-tschechische Realität

„Bei Bekämpfung von Zwangsprostitution und Frauenhandel in Europa müssen wir uns eine vorherrschende Gleichgültigkeit, ein Wegschauen verbieten“, mahnte der CSU-Europaabgeordnete Martin Kastler bei der Fachtagung „Wo ein Wille, da ein Weg?! Frauenhandel wirksam bekämpfen“ in Nürnberg. Hierzu eingeladenen hatte im Oktober das Aktionsbündnis gegen Frauenhandel gemeinsam mit der Hanns-Seidel-Stiftung und Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit Mittel- und Osteuropa. Im Aktionsbündnis sind zahlreiche Organisationen, vorwiegend aus dem kirchlichen Bereich, informell zusammengeschlossen.

Ziel ist der gemeinsame Kampf gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution. Seit seiner Gründung im Jahr 2000 gehört auch die Ackermann-Gemeinde dem Aktionsbündnis an. „Der Frauenhandel ist traurige Realität in der deutsch-tschechischen Nachbarschaft. Dieser Tatsache müssen wir uns als Christen stellen“, begründet Bundesgeschäftsführer Matthias Dörr das Engagement der Ackermann-Gemeinde in diesem Bereich. Die Nürnberger Tagung war bereits die neunte Konferenz des Aktionsbündnisses zu dieser Thematik. Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Kastler beruft sich beim Einsatz gegen den Menschenhandel auf Papst Franziskus, der eine „globalisierten Gleichgültigkeit“ anprangert. So fand der Papst bei seinem Besuch in Lampedusa klare Worte: „Die Kultur des Wohlergehens, die uns an uns selber denken lässt, macht uns unsensibel für die Schreie der anderen, sie lässt uns in Seifenblasen leben die zwar schön sind, aber nichtig, die eine Illusion des Unbedeutenden sind, des Provisorischen, die zur Gleichgültigkeit dem Nächsten gegenüber führt und darüber hinaus zur einer weltweiten Gleichgültigkeit! Von dieser globalisierten Welt sind wir in die globalisierte Gleichgültigkeit gefallen! Wir haben uns an das Leiden des Nächsten gewöhnt, es geht uns nichts an, es interessiert uns nicht, es ist nicht unsere Angelegenheit! Wir leben in einer Gesellschaft, die die Erfahrung des Weinens vergessen hat, des Mit-Leidens.“ Kastler mahnte bei der Fachtagung, vor der Realitäten nicht die Augen zu verschließen: „Sklaverei findet man leider nicht nur in den Geschichtsbüchern. Es ist erschreckend, dass in unserer heutigen Zeit noch immer Menschen verkauft oder als Zwangsarbeiter oder ‑prostituierte gegen ihren Willen gehandelt werden.“

Kastler dankte in seiner Rede in Nürnberg den Beteiligten „für ihre wertvolle Arbeit, die sie in den über 20 Mitgliedsorganisationen und im bayerischen Aktionsbündnis selbst leisten.“ Sie seien alle „die erfahrenen Fachleute, die wir in der Politik als Partner brauchen, um eine bessere Gesetzgebung und Kontrolle im konsequenten Kampf gegen den Menschenhandel zu erreichen.“ Dass hier Handlungsbedarf bestehe, zeige auch eine im Frühsommer dieses Jahres veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission. Sie mache einen „nachdenklich und traurig“, so der sozialpolitische Spreche der CSU-Europagruppe. Demnach ist die offizielle Zahl der Opfer von Menschenhandel in den EU-Ländern in den vergangenen vier Jahren um fast ein Viertel von rund 6.000 auf heute über 10.000 pro Jahr gestiegen. 68 Prozent der Opfer waren Frauen, zwölf Prozent Mädchen, 17 Prozent Männer und drei Prozent Jungen. Zwei von drei Betroffenen wurden laut der Studie zur Prostitution gezwungen. Andere wurden als Arbeitskräfte ausgebeutet, zu Straftaten gezwungen oder dazu, sich ein Organ entnehmen zu lassen. 61 Prozent der Opfer kamen aus EU-Ländern, vor allem aus Rumänien und Bulgarien, gefolgt von Afrika, Asien und Südamerika. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer um ein vielfaches höher liegt.

Im Europäischen Parlament herrsche fraktionsübergreifend Einigkeit darüber, dass etwas getan werden müsse, so Kastler. Er betont: „Ja, hier wollen wir mehr Europa. Hier wollen wir Konsequenz. Hier wollen wir ein greifbares Europa der Werte.“ Dies setze aber die enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden in den Mitgliedsstaaten voraus. „Und genau da hakt es“, gibt er zu bedenken. Gesetzlich steht laut Kastler „die EU an der Speerspitze einer Bewegung gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution“. Zugleich verweist er aber darauf, dass auch in Deutschland bis heute eine Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien ausstehe. Verschlimmert habe sie die Situation durch die Liberalisierung der Prostitution durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2002. Das Prostitutionsgesetz gelte es nun dringend nachzubessern, mahnt der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde an.

Hintergrund der Entstehung des „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“ im Jahr 2000 war der Anstieg des Handels mit Frauen aus Osteuropa seit dem „Fall des Eisernen Vorhangs“ und dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in den Jahren 1989 bis 1991. Durch die weitgehend friedlichen Revolutionen dieser Jahre waren die Grenzen zwischen Ost und West durchlässig geworden. So sehr die neu gewonnene Freiheit allenthalben und zu Recht begrüßt wurde, und so dynamisch sich auch die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozesse der osteuropäischen Gesellschaften gestalteten – es gab und gibt auch deutliche Schattenseiten dieser Entwicklungen, auch entlang der deutsch-tschechischen Grenze. „Mit seinen Tagungen und seinem Internetauftritt macht das Aktionsbündnis seither diesen skandalösen Frauenhandel, den Verkauf von Frauen in die Zwangsprostitution ausdrücklich zum Thema. Durch Informations-, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit soll eine Sensibilisierung für das Problem des Frauenhandels im kirchlichen und nichtkirchlichen Bereich“ erreicht werden, erklärt Dorothea Schroth, stellvertretende Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, die Aufgaben und Zielen des Bündnisses. Mit ihr ist die Ackermann-Gemeinde prominent im Netzwerk vertreten. Dies zeigt welch hohen Stellenwert dieses aktuelle Thema, das auch zur deutsch-tschechischen Nachbarschaft gehört, für die katholische Gemeinschaft hat.

ag

 

Martin Kastler MdEP (l.) mahnte <br/>bei der Nürnberger Fachtagung gegen Frauenhandel <br/>eine engere Zusammenarbeit zwischen<br/> den EU-Mitgliedsstaaten an.