Europa vor dem Scheitern oder Vorbild für die Welt?

Zum 23. kam die Mittlere Generation der Ackermann-Gemeinde zum „Rohrer Forum“ zusammen.

Am Wochenende über den 1. Mai trafen sich im Kloster Rohr in Niederbayern 110 Teilnehmer des 23. Rohrer Forums zum Thema „Europa vor dem Scheitern oder Vorbild für die Welt? Die aktuelle Flüchtlingssituation als Herausforderung für Europa“.

Das Einführungsreferat hielt Matthias Graner aus Burg in Sachsen-Anhalt. Als ehemaliger Landtagsabgeordneter analysierte er am Beispiel von Sachsen-Anhalt den Aufstieg der AfD und ihr Verhältnis zu Europa und vor allem die Flüchtlingsdebatte. Die AfD wurde gewählt, obwohl selbst die Wähler mehrheitlich glauben, dass die AfD die Probleme nicht lösen kann. Damit erscheint sie als typische Protestpartei unzufriedener Wähler.

Der Osteuropahistoriker Prof. Dr. Ulf Brunnbauer von der Universität Regensburg stellte mit Blick auf die Frage der Tagung fest, Europa sei irgendwo auf dem Weg von einer Föderation zu einem Bundesstaat steckengeblieben. Während die einen eine stärkere Entwicklung zu einem Bundesstaat befürworteten, gäbe es in verstärktem Maße Bestrebungen, die Verbindungen wieder zu lockern, so wie der britische Premier Cameron.

Brunnbauer definierte derzeitige Feinde der EU: EU-weit haben populistische Parteien Zulauf, die dafür werben, ihre jeweiligen Nationalstaaten stärker abzuschirmen. Beispiele für diese nationalistisch auftretenden Parteien sind die Le-Pen-Partei Frankreichs, die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich. Zudem gibt es europafeindliche Regierungen: Hierzu gehören allen voran der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und die neue polnische Regierung.

Der russische Präsident Putin sei der entschiedenste Feind außerhalb der EU. Er unternehme einiges, um die EU zu destabilisieren. Unter anderem unterstütze  er finanziell einige der oben genannten populistisch nationalistischen Parteien. Dazu kämen gezielte Desinformationen einmal innerhalb Russlands, aber auch in die Mitgliedsstaaten der EU hinein.

Thematischer Höhepunkt war die Rede von Prof. Dr. Horst Teltschik. Der frühere außenpolitische Chefberater Kohls und langjährige Leite der Münchner Sicherheitskonferenz sprach zum Thema „Europa – Unsere Herausforderung als Wertegemeinschaft und seine Rolle als globale und zivile Friedensmacht“. Aus der Erfahrung zweier Weltkriege könne die EU als Erfolgsgeschichte ersten Ranges gesehen werden. Leider sei das Bewusstsein dafür jedoch zurückgegangen. So bedurfte es der Rede des amerikanischen Präsidenten Obama in Hannover, um wieder deutlich zu machen, welch eine großartige Erfolgsgeschichte die EU vorzuweisen habe. Frieden und Wohlstand sind selbstverständlich geworden. Kritisch äußerte sich Teltschik zu den europakritischen Tönen europäischer Politiker, die die Flüchtlingskrise zum Anlass nähmen, wieder Zäune zu errichten und die Freizügigkeit in Frage zu stellen.

Auch der Umgang Europas mit dem Nachbarn Russland sei aus seiner Sicht nicht zielführend. Sicherheit in Europa sei nur mit Russland möglich. Leider hätten es aber sowohl die USA als auch die EU in letzter Zeit häufig versäumt, Russlands Präsidenten Putin als gleichwertigen Partner zu behandeln. Dieser habe in der Ukraine wie in Syrien gezeigt, dass eine Lösung von Konflikten ohne Russland praktisch unmöglich sei. Teltschik sprach sich dafür aus, weniger zu provozieren und mehr miteinander zu reden. Vor allem müssten aber Abmachungen eingehalten werden. Hier hätten die Europäer Versäumnisse zu verantworten, was er anschaulich am Beispiel des NATO-Russland-Rates machte, der zwar vereinbart, aber praktisch nicht umgesetzt worden sei. Europa stecke in einer Krise. Teltschik sah darin aber eine Chance für Europa, aus dieser Krise wieder gestärkt hervorzugehen und eine erneuerte Identität zu gewinnen.

Den Abschluss bildete der Vortrag des Moraltheologen Dr. Albert-Peter Rethmann, Trier, zum Thema „Ist Europa Vorbild oder Symbol prekärer Humanität?“. Die Fluchtbewegungen hätten die vorher nicht im öffentlichen Bewusstsein befindlichen Krisen im Nahen und Mittleren Osten, sowie in Afrika deutlich werden lassen. Er wies auf die aufrüttelnden Worte von Papst Franziskus hin, der gesagt hat, die Moral Europas ertrinke mit den Flüchtlingen im Mittelmeer. Was können wir tun? Rethmann sah es als wichtig an, in der öffentlichen Diskussion klar Position zu beziehen und die Meinungsführerschaft nicht den populistischen Strömungen zu überlassen. Durch kritisches Hinterfragen von Positionen wie „Wir werden von Flüchtlingen überfremdet“ kann infrage gestellt werden, wie es kommen kann, dass weniger als ein Prozent Flüchtlinge die EU überfremden soll. Haben wir Europäer so wenig Selbstvertrauen?

Den Abschluss bildete ein Gottesdienst mit dem Altabt des Klosters Rohr Gregor Zippel OSB. Auch der feierlichte Tanz in den Mai, ganz traditionell mit einem Maibaum durfte nicht fehlen.

 

Michael Schuch