„Europa gemeinsam neu denken“

Martin Kastler MdEP, Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde, äußert sich in einem Interview im Vorfeld des deutsch-tschechischen Bundestreffens der Ackermann-Gemeinde zur Bedeutung und inhaltlichen Ausrichtung dieser Begegnung in Bautzen.

 

Für Anfang August lädt die Ackermann-Gemeinde zu ihrem Bundestreffen nach Bautzen ein. Welche Bedeutung hat diese Begegnung für Ihren Verband in seiner Arbeit nach innen und außen?

 

Kastler: Die Bundestreffen sind wichtige Meilensteine für unseren Verband. Sie führen die verschiedenen Gruppen und Generationen unserer Gemeinschaft zusammen. Dies hat eine verbindende Wirkung in den Verband hinein. Zugleich zeigen sie nach außen, was in der aktuellen Situation unsere Hauptanliegen sind. Die Treffen, das erste dieser Art war im Jahr 1946 in Passau, sind mit einem Motto überschrieben. Wenn man sich diese in den vergangenen Jahrzehnten anschaut, ergibt sich ein Überblick über Ziele und Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Schon 1950 stand der europäische Gedanken im Vordergrund, aber auch Begriffe wie Verständigung, die christliche Verantwortung und die Nachbarschaft von Deutschen und Tschechen in der Mitte Europas sind häufig wiederkehrende Begriffe.

Doch über die deutsch-tschechische Nachbarschaft brauchen wir nicht reden, wir leben sie seit langem. Das Bautzener Treffen, wie bereits vor drei Jahren in Pilsen, wird gemeinsam mit unserer tschechischen Schwesterorganisation vorbereitet und durchgeführt. Zahlreiche Teilnehmer und Referenten werden aus unserem Nachbarland nach Bautzen kommen.

 

Sie sprachen das letzte Bundestreffen der Ackermann-Gemeinde vor drei Jahren an. Es fand im tschechischen Pilsen statt. Nun lädt die Ackermann-Gemeinde ins sächsische Bautzen ein. Gibt es – im Kontext des Verbandes, der Ackermann-Gemeinde – einen konkreten Bezug oder bestimmte Gründe für die Wahl dieses Tagungsortes?

 

Kastler: Bautzen ist der ideale Ort für unsere zentrale deutsch-tschechische Begegnung. Zunächst will ich die Lage im Dreiländereck Deutschland-Tschechien-Polen nennen. Bautzen gehört zur dortigen Euroregion. An einem Nachmittag werden mehrere Busse bei einer Sternfahrt auch über die Grenze nach Böhmen und Schlesien fahren. Dort werden sie sich über soziale und pastorale Projekte informieren.

Außerdem sind Bautzen und die Oberlausitz historisch eng mit Böhmen verbunden. Ein Stichwort ist hier die Herrnhuter Brüdergemeine, welche ja aus böhmischen und mährischen Glaubensflüchtlingen entstand. Dazu kommt noch die sorbische Minderheit, die eine Reihe von Einrichtungen in Bautzen hat. Die Sorben übernehmen seit jeher eine Brückenfunktion zwischen Deutschen und den slawischen Nachbarvölkern. All diese Bezüge werden sich im Programm des Bundestreffens auch wieder finden.

 

Das Thema des viertägigen Treffens lautet: Europa: Unsere Verantwortung. Erfahrungen – Herausforderungen – Visionen. Worin sieht die Ackermann-Gemeinde ihre Verantwortung für Europa? Welche Erfahrungen kann sie in den europäischen Einigungsprozess bzw. die Europaarbeit und -politik einbringen? Welche Herausforderungen und Visionen gibt es aus Sicht der Ackermann-Gemeinde für und in Europa?

 

Kastler: In der aktuellen Krise wird die heutige EU verstärkt in Frage gestellt. Europa ist viel zu wichtig, um es einer unbekannten europäischen Elite zu überlassen, wie früher. Politiker und Bürger müssen gemeinsam Europa neu denken. In der Ackermann-Gemeinde wollen wir uns als Mitteleuropäer, als Deutsche und als Tschechen, als Junge und Alte für ein freundschaftliches und solidarisches Miteinander auf unserem Kontinent engagieren. Die grenzüberschreitenden Kontakte der Menschen machen Europa erst erlebbar und lebendig.

Die Erfahrungen von Krieg, Vertreibung und kommunistischer Diktatur sind uns dabei Mahnung. Von besonderer Bedeutung ist der Dialog zwischen den Generationen. Denn wir müssen uns nicht nur zwischen den verschiedenen Nationen verstehen und die unterschiedlichen Sichtweisen kennen, sondern auch zwischen jung und alt. Dieser Austausch funktioniert in der Ackermann-Gemeinde ausgezeichnet und hält uns lebendig.

Für unser Handeln brauchen wir Orientierungen und ein Ziel. In den vermeintlichen Notwendigkeiten des Heute verlieren wir diese leicht aus dem Blick. Für mich ist das mein christlicher Glaube und die daraus entwickelte katholische Soziallehre. Gerade wir Christen können mit Gottvertrauen in Europa vorangehen und uns gemeinsam für ein Europa einsetzen, das auf einem stabilen christlichen Wertefundament gebaut ist. Europa soll ein Ort sein, der für die Menschen erlebbar ist.

 

Können Sie uns ein paar Highlights aus dem Programm kurz skizzieren und beschreiben?

 

Es wird ein abwechslungsreiches Programm werden. Mit dem Prager Philosophen Prof. Dr. Jan Sokol und dem ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten und EU-Kommissar Dr. Vladimír Špidla haben wir zwei Hauptreferenten gewonnen, die aus verschiedenen Blickwinkeln grundsätzliche Gedanken zur Gestaltung Europas formulieren werden. Ich freue mich auf die Diskussion mit ihnen. Doch in Bautzen werden wir uns mit unserem Treffen nicht nur in der Stadthalle verschanzen. Mit einigen Programmpunkten gehen wir mitten in die Stadt und suchen den Kontakt mit der Bautzener Bevölkerung. Bei dem Projekt „Stadt der lebendigen Bücher“ werden wir an verschiedenen Orten, wie im Rathaus, im Dom St. Petri, in der Gedenkstätte des ehemaligen Stasigefängnisses, auf der Ortenburg und im Haus der Sorben, mit Persönlichkeiten ins Gespräch kommen, die von ihrem Engagement berichten werden. Die bereits erwähnte Sternfahrt führt uns zu sozialen und pastoralen Projekten in Sachsen, Böhmen und Schlesien. Die Gottesdienste, unter anderem mit dem Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt und dem Vertriebenenbischof Dr. Reinhard Hauke, werden vom Chor und Orchester der deutsch-tschechischen Kulturwoche „Rohrer Sommer“ der Ackermann-Gemeinde gestaltet. So zeigt sich auch bei den religiösen Programmpunkten das enge deutsch-tschechische Miteinander.

 

Wie viele Teilnehmer erwarten Sie bei dem Treffen? Woher werden die Teilnehmer kommen?

 

Fast 400 Teilnehmer werden aus dem ganzen Bundesgebiet und der Tschechischen Republik nach Bautzen kommen. Es freut uns, dass darunter viele Familien mit Kindern sein werden. Daher bieten wir auch ein eigenes Kinder- und Jugendprogramm an. Außerdem rechnen wir mit weiteren Teilnehmern aus der Region. Mit dem Bautzener Bundestreffen setzen wir erneut ein Zeichen für ein lebendiges und enges Miteinander von Deutschen und Tschechen.

 

Markus Bauer/ag