Einige nicht alltägliche Seiten von Prag kennengelernt

Virtuelle Führung in der Goldenen Stadt beim Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde

Trotz der momentan noch nicht wieder geöffneten deutsch-tschechischen Grenze erhielten am vergangenen Dienstagabend rund 80 Personen aus Deutschland, Tschechien und Österreich eine einstündige Stadtführung in Prag. Möglich wurde das beim Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde durch ein virtuelles Angebots der in Prag ansässigen Einrichtung „Pragkontakt“, d.h. mittels einer Führung durch Míla Man und Alena Navrátilová.

 

Sage und schreibe 53 Computer waren zu dieser virtuellen Veranstaltung verbunden, und technisch war es ein Experiment. Denn zum ersten Mal in dieser Reihe begaben sich die „Referenten“ nach draußen – aber alles klappte einwandfrei. Als eine Führung „Prag für Insider“ kündigte Moderatorin Sandra Uhlich das bevorstehende Ereignis an und übergab Míla Man das Wort.

Dieser verwies auf die immer noch bestehenden Einschränkungen für Reisen nach Prag bzw. in die Tschechische Republik und stellte seinen Verein „Pragkontakt“ kurz vor, der aus einem Projekt der Brücke/Most-Stiftung hervorgegangen ist. In diesem Kontext dankte er Eva Engelhardt, die wesentlich an der Gründung und Entwicklung beteiligt war. In erster Linie begleitet „Pragkontakt“ Bildungsreisen von Schulklassen und Erwachsenen nach Prag und Umgebung und will Wissen in tschechischer Geschichte, Kultur und Sprache vermitteln – durch Stadtführungen und -ralleys, Besuch von Gedenkstätten, Gesprächen mit Zeitzeugen usw. Auch mit der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung hat „Pragkontakt“ bereits zusammengearbeitet.

Bei der Führung ging Míla Man zunächst auf die längerfristig laufenden Umbauarbeiten zur Revitalisierung des Wenzelplatzes ein. Im oberen Teil des Platzes wird sogar wieder (unterbrochen seit 1980) eine Straßenbahn fahren. Außerdem erläuterte er die hier nach deutscher und tschechischer Nationalität nach 1918 entstandene Trennung der Straßen – die zum Tschechischen Nationaltheater hinführende Straße bzw. die Straße am Graben, die sich zum Zentrum des deutschen Lebens entwickelte.

Hier präsentierte Alena Navrátilová das ehemalige Deutsche Haus, das aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt und vielen Veranstaltungen, Vereinen usw. Unterkunft bot. Auch erwähnte sie den im Jahr 1859 in Prag gegründeten Verein „Schlaraffia“, eine weltweite deutschsprachige Vereinigung zur Pflege von Freundschaft, Kunst und Humor mit einer eigenen Sprache. Nicht fehlen durften die Hinweise, dass Rainer Maria Rilke und auch Johannes Uržidil hier in der Nähe geboren wurden – Gedenktafeln erinnern daran. Beim Fußmarsch Richtung Theater zeigte Navrátilová auf die weitgehend leeren Straßen, was es seit 30 Jahren in Prag nicht mehr gegeben hat. Mit dem National- bzw. Ständetheater eng verbunden ist unter anderem die Uraufführung der Oper „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart im Jahr 1787, weshalb auch Szenen des Films „Amadeus“ hier gedreht wurden. Eine weitere wichtige Einrichtung ist die von Kaiser Karl IV. gegründete Universität – die erste Universität im deutschsprachigen Raum. Auch Franz Kafka hat hier an der juristischen Fakultät studiert.

Pünktlich um 22 Uhr übertrug Míla Man live die Klänge bzw. Glockenschläge der Prager Rathausuhr, auch Aposteluhr oder Altstädter Astronomische Uhr genannt. Dazu trug Man das Gedicht „Die alte Uhr“ von Rainer Maria Rilke vor.

Auch etwas delikate Aspekte hatte die Stadtführung zu bieten – so das frühere Lokal „Goldschmied“, in dem auch ein Freudenhaus untergebracht war. Alena Navrátilová nannte Persönlichkeiten aus Politik, Adel und Kunst (z.B. Gustav Mahler, Otto von Bismarck, Franz Werfel), die in dem Haus verkehrten – ob nur zum Essen und Trinken oder für andere leibliche Genüsse und Gelüste, das verriet sie freilich nicht. Jedenfalls seien die Aufenthalte für den einen oder anderen Mann sehr inspirierend gewesen.

Die fast menschenleeren Straßen waren auch für Míla Man Grund, sich dazu zu äußern. „Die Prager meiden sonst diese Plätze. Corona hat nun die Stadt den Pragern wieder zurückgebracht“, stellte er fest. Er zeigte auf das Pflaster mit 27 aufgemalten Kreuzen, die für 27 böhmische protestantische Adelige stehen, die am 21. Juni 1621 – während des 30-jährigen Krieges – hingerichtet wurden. Die konfessionellen Querelen reichen bis heute, die wechselhafte Geschichte der nach dem 30-jährigen Krieg von Kaiser Ferdinand III. initiierten Mariensäule, die nach dem Ersten Weltkrieg gestürzt wurde und derzeit nach langen Diskussionen wiedererrichtet wird - Man zeigt auch die Baustelle - , deutet dies an.

„Vielleicht kann die Corona-Krise zum Umdenken anregen, dass die Touristen ihr Geld in erster Linie für Kultur und Weiterbildung ausgeben“, wünschte sich der Stadtführer. Denn Wechselstuben, Souvenirläden und Süßigkeitengeschäfte seien derzeit „zum größten Teil verschwunden“. Die Zuhörer und Zuschauer lud er nach Prag ein - und zu einem kreativen Gewinnspiel: Der individuellen Ergänzung der letzten Zeilen des Gedichts „Palmström bei Gogo“ von Christian Morgenstern, in dem es auch um das Lokal „Goldschmied“ geht …

Markus Bauer

 

 

Gewinnspiel

Milan Man lud zum Ende des Rundgangs zu einem Gewinnspiel ein. Aufgabe war es das Gedicht "Palmström bei Gogo" von Christian Morgenstern, welches er bis auf die letzten Verse vortrug, eigenständig zu vervollständigen. Sechs Beiträge wurden innerhalb der kurzen Frist von 24 Stunden eingereicht. "Wir sind von Ihren kreativen Ideen und Lösungen des Gedichts vollkommen begeistert und Christian Morgenstern wäre es zweifellos auch", freute sich Man über die Einsendungen. Die Entscheidung sei sehr schwer gefallen. Der Sieger einer exklusiven Stadtführung durch die Moldaumetropole mit Pragkontakt ist Werner Tampe. Herzlichen Glückwunsch.

Unten finden Sie das Gedicht mit der Siegerversion sowie die Originalfassung.

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Christian Morgenstern

Palmström bei Gogo

Palmström sucht (gleich anderen vielen)
Wie man, ohne zu verspielen,
Mittels Formel finden könnten,
Wieviel jeder, wenn er wollte -
Angenommen, daß er könnte -
Wieviel jeder zahlen sollte,
Wieviel jeder, wenn er könnte,
Angenommen: daß er wollte.
Wie wenn sollte, wollte, könnte,
Der Kaffee zu zahlen wäre
Pro Person nach Recht und Ehre,
Wenn der, der aufs Zimmer rennte
Und sich von den andern trennte,
Der nun auszulassen wäre.

Palmström beginnt zu dividieren.
Er versinkt in den Papieren,
Er versinkt in dem Probleme,
Wieviel wohl auf jeden käme,
Wenn - wie oben es notiert.
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Siegerbeitrag von Werner Tampe:

Er versucht's mit subtrahieren, 
Er versucht's mit abstrahieren 
Und mit zu und auf addieren. 
Wie sieht das Ergebnis aus? 
Palmström zieht die Stirne kraus. 
Wenn jetzt der, der vorher rannte 
Wegen der Corona-Schranke 
Auf sein Zimmer, um zu bleiben 
Und das Virus zu vertreiben, 
Gegen alle Etikette wiederkehrte 
und sich megageil bewährte, 
Und auch der, der zahlen wollte, 
Und der auch, der zahlen sollte 
Für den kavá turecká, 
wär' erreicht JUSTITIA. 

Original von Christian Morgenstern

Während er noch dividiert
Hat – wohl nur damit er prahlt –
Hat ein anderer bezahlt
Palmström denkt: es ist genog,
Nimmt sich Hut und Stock und Rock;
Denn nicht an mehr – meint er - käm' es
Auf die Lösung des Problemes.

Ein Teil der Interessenten an der virtuellen Prager Stadtführung.
Alena Navrátilová während der Stadtführung.
Milan Man während der Stadtführung.
Die Ackermann-Gemeinde e.V. wird für die Kulturarbeit im Institutum Bohemicum aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert.