Einblicke in ein neues Museum zur Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung in den böhmischen Ländern

Virtuell ging es beim jüngsten kulturzoom der Ackermann-Gemeinde nach Aussig/Ústí nad Labem. An 62 Bildschirmen folgten die Teilnehmenden dem Direktor des Collegium Bohemicum, Dr. Petr Koura. Er gab einen Einblick in die neu entstehende Dauerausstellung „Unsere Deutschen/Naši Němci“, die im Museumsgebäude der Stadt Aussig Platz findet. Auch wenn noch nicht alle Räume fertig sind, vermittelte die Führung einen guten Eindruck von der Ausstellung, die – nach mehreren Verschiebungen – wohl im Spätsommer (August/September) eröffnet wird.

Den seit 2017 als Direktor des Collegium Bohemicum in Aussig wirkenden promovierten Historiker und Politologen Dr. Petr Koura stellte Moderatorin Sandra Uhlich vor. Er arbeitete zuvor unter anderem im Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, am Prager Institut für Zeitgeschichte sowie im Institut für das Studium totalitärer Regime ÚSTR. Außerdem unterrichtet Koura Zeitgeschichte an der Karls-Universität in Prag, und er wirkt als Schauspieler in Theaterinszenierungen im Studium Ypsilon in Prag.

Als Direktor des Museums hat Koura auch die „Dauerausstellung über die Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung in den böhmischen Ländern“, so der Untertitel, kuratiert. „80 Prozent, d.h. 23 der 25 Ausstellungsräume sind fertig“, erklärte er zu Beginn seines Vortrags, bei dem er anhand von Bildern durch das Museum führte. Wichtig ist ihm, dass neben den Sudetendeutschen auch die deutschsprachigen Juden präsentiert werden. In der ersten Etage geht es um die Aspekte „Wer sind unsere Deutschen?“, „Wo ist mein Heim?“ sowie die Aufteilung nach Nationalitäten. Auf Baum- und Holzstücken sind die Informationen zu lesen – ein Hinweis auf die hohe Walddichte. Darüber hinaus werden in einer Vitrine mit Exponaten und auf einer Leinwand mit Film Inhalte vermittelt – mit modernen und interaktiven Medien, aber auch mittels Bildern von Landschaften und Gebäuden deutscher Maler.

Eine zentrale Rolle spielt in der Ausstellung das Jahr 1848, dem sogar ein eigener Raum gewidmet ist – eine Bücherbarrikade. „Bis dahin wurde gemeinsam, ohne Wörterbücher, gesprochen. Danach war die Nutzung von Wörterbüchern nötig“, erläuterte Koura diesen Raum und damit das Jahr 1848, das für die Zäsur – den Beginn des Nationalismus – steht. In die Bücherbarrikade sind zudem Waffen eingebaut – ein Hinweis auf folgende gewalttätige Entwicklungen.

Im zweiten Stock werden unter dem verbindenden Titel „Arenen des öffentlichen Lebens“ die Zeitspannen von 1848 bis 1918 (Einfluss Österreichs bzw. Österreich-Ungarns), von 1918 bis 1938 (erste Tschechoslowakische Republik) und von 1938 bis 1945 (Protektorat, Zweiter Weltkrieg) dargestellt. Dargestellt sind in diesen Bereichen der Böhmische Landtag mit Bildern der Abgeordneten, aber auch Reden und kleine Videos, der Erste Weltkrieg mit Exponaten aus dem Alltags- und dem Militärbereich und Frauen in der Politik. Aus der Ersten Republik finden sich zahlreiche Aspekte deutscher Kultur, wie das deutsche Theater in Prag, das deutsche Schulwesen und das deutsche Exil in Prag und im gesamten Staat. Die Darstellung der Politik erfolgt nicht national, sondern aufgeteilt in demokratisch und nicht demokratisch. Die Jahre von 1938 bis 1945 werden in einen jüdischen, einen tschechischen und einen deutschen Weg aufgesplittet, am Ende dieses Raumes wird die Vertreibung der Deutschen thematisiert. So sind unter anderem Gegenstände zu sehen, welche die Vertriebenen zurücklassen mussten. Aber auch Gewalttaten gegen Deutsche werden mit Verweis auf die Plätze genannt und kurze Originalamateurfilme präsentiert. „Es ist nötig, diese Aufnahmen zu zeigen“, kommentierte Koura. Darüber hinaus gibt es Erinnerungen von Heimatvertriebenen zu hören und zu sehen.

In einer abschließenden Abteilung widmet sich das Museum dem Alltag und Gewerbe sowie der Industrie wie zum Beispiel der Seifensiederei der Familie Georg Schicht, dem Böhmerland-Motorrad oder den Bereichen Porzellan, Glas und Musikinstrumente. Ebenso geht es um deutsche Volkskultur, wie Totenbretter, Bauernschränke, Tracht, Mundart, Religion und Frömmigkeit, Passionsspiele, Wirtshaus- und Caféhauskultur usw., aber auch um Kirche und Kirchengeschichte mit Hus, Reformation und Johannes von Nepomuk.

„Wir bekamen bei bisherigen Besuchern nur positive Reaktionen. Leider hat sich die Eröffnung verspätet“, fasste der Direktor zusammen. Er geht nun von einer Eröffnung im Spätsommer aus. Das Konzept der bemerkenswerten Ausstellung wurde von einem großen Team tschechischer, deutscher und österreichischer Historiker und Historikerinnen sowie Museumsexpertinnen und -experten vorbereitet.

Markus Bauer

Ein Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Kultur-Zoom.
Dr. Petr Koura, Direktor des Collegium Bohemicum, bei seinem Vortrag.
Die Baumstümpfe, auf denen die Informationen zu lesen sind, sollen an den Böhmerwald erinnern.
Die Bücherbarrikade.
In einer Vitrine befinden sich von Vertriebenen zurückgelassene Gegenstände.
Die Kulturarbeit der Ackermann-Gemeinde im Institutum Bohemicum wird gefördert durch das Bayerische Staasministerium für Familie, Arbeit und Soziales.