"Die Jugend in Tschechien ist prowestlich und proeuropäisch"

Die diesjährige Pfingstaktion des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis steht unter dem Leitwort „DU erneuerst das Angesicht der Erde. Ost und West in gemeinsamer Verantwortung für die Schöpfung“. Gastgeber der bundesweiten Eröffnung war das Erzbistum Bamberg. Die Ackermann-Gemeinde der Erzdiözese Bamberg brachte sich in die Pfingstaktion am Sonntag vor Pfingsten, dem Festtag des Heiligen Johannes von Nepomuk, mit einem Online-Symposium zum Thema „Tschechische Jugend in Kirche und Staat“ ein.

Für die Ackermann-Gemeinde in der Erzdiözese Bamberg hieß Geschäftsführer Christoph Lippert besonders die Referenten sowie Marie Smolková von der Bundesgeschäftsstelle in München, die den technischen Ablauf der Zoom-Veranstaltung betreute, willkommen. Auch erinnerte Lippert an die in diesen Tagen vielerorts üblichen Nepomuk-Feiern, die heuer leider coronabedingt ausfallen.

Da der Bamberger Erzbischof Dr. Ludwig Schick eine Einführung in die Thematik beisteuerte, stellte Lippert den Oberhirten kurz vor. Er ist auch Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. Darüber hinaus ist er Renovabis stark verbunden, weshalb er auch beim Eröffnungsgottesdienst zur heurigen Renovabis-Aktion am 9. Mai in Bensheim-Auerbach in seiner Predigt auf die immensen Schäden durch den Kommunismus in den Ländern Mittel- und Osteuropas hingewiesen hat. Schicks Wunsch sei, so Lippert, „ein vereintes Europa mit gemeinsamen Werten und Solidarität“. Außerdem verriet der Geschäftsführer, dass dem Erzbischof die Beziehung zu Tschechien wichtig sei, auch aufgrund der historischen Bezüge. Seit vielen Jahren sei der Bamberger Oberhirte daher ein Freund und Förderer der Ackermann-Gemeinde.

In seinem Grußwort bedauerte Erzbischof Schick die nur virtuelle Durchführung dieses Symposiums, die persönliche Begegnung sowie das Kennenlernen von Landschaften und Städten fehle seit geraumer Zeit. Dies sei wichtig für das Zusammenwachsen Europas und für die Ausweitung und Stärkung der Beziehungen. „Ein vereintes Europa von Ost nach West und von Deutschland und Tschechien funktioniert nur, wenn wir auch ein versöhntes Europa sind. Versöhnung ist für ein vereintes Europa wichtig“, mahnte der Oberhirte. Er erinnerte an die „gewaltbelastete Vergangenheit“ mit Krieg, Vertreibungen Umsiedlungen, Blockbildungen im Westen und Osten sowie Menschenrechtsverletzungen bis in die 1980er Jahre. Erst 1989 sei ein territorial vereintes, aber noch nicht versöhntes Europa entstanden. Daher gelte Schicks Anliegen nach wie vor, ein versöhntes Europa zu schaffen. Um dies zu erreichen, seien auch die Jugendbewegungen in Deutschland und in Tschechien wichtig. Denn, so Schicks Überzeugung, die Jugend ermuntere zu Versöhnung und Freundschaft. Auf dieser Basis könne Europa ein „Hort des Friedens für die ganze Welt“ werden. Die Ackermann-Gemeinde ist für den Erzbischof „ein wichtiger Faktor für die tschechisch-deutsche Freundschaft, ein Baustein im Mosaik der Versöhnung“. Besonders der Jugend komme dabei die Aufgabe zu, viele Begegnungen und damit viel Austausch zu initiieren und so den Aufbau Europas zu fördern. Beim Thema Umwelt- und Klimaschutz sieht der Bamberger Bistumschef zwar die gleichen Grundforderungen in allen Staaten, wie beispielsweise die Reduzierung der Emissionen, jedoch Unterschiede in der Handlungsweise, wenn es zum Beispiel um die Rolle der Kernkraft gehe. Hier brauche es Aspekte wie Akzeptanz und Toleranz. Von großer Bedeutung sind für den Erzbischof aber auch Themen wie der kulturelle Austausch, Gerechtigkeit, Migration und Flüchtlingsproblematik – also globale Fragen, mit denen auch das Hilfswerk Renovabis befasst ist. Er verwies auf die Enzyklika von Papst Franziskus „Laudato si“ und auf die Notwendigkeit einer guten Jugendarbeit, die besonders Werte und Tugenden vermittelt.

Aus Königgrätz/Hradec Kralové zugeschaltet war Prof. Dr. Tomáš Petráček. Er lehrt an der Katholischen Fakultät der Karls-Universität in Prag und an der Pädagogischen Fakultät der Universität in Königgrätz. Darüber hinaus ist er Studentenseelsorger sowie Priester in Königgrätz, weshalb ihn Christoph Lippert – auch angesichts vieler weiterer Tätigkeiten – in seiner Anmoderation als „polyglotten Menschen“ bezeichnete. Petráčeks Vortragsthema lautete „Erhaltung der Schöpfung aus der Sicht der tschechischen Jugend“.

Die Umweltschutzbewegung habe, so der Referent, schon bei der Vorbereitung der Samtenen Revolution im Jahr 1989 eine wichtige Rolle gespielt und „eine elementare Plattform für den Aufbau einer gesellschaftlichen und politischen Opposition geboten“. Die Priorisierung der Schwerindustrie seitens der sozialistischen Regime habe die Schädigung der Gewässer und der Luft beschleunigt und damit zur Verschlechterung der Gesundheit und Lebenserwartung beigetragen. Vor allem junge Menschen mit naturwissenschaftlicher Ausbildung hätten damals die Öffentlichkeit darüber informiert, so dass der Umweltschutz bald ein Aspekt wurde, bei dem – zumindest im gesellschaftspolitisch engagierten Teil der tschechischen Öffentlichkeit – Einigung und Fortschritte erzielt werden konnten. Für heute – über 30 Jahre später und nach dem EU- und NATO-Beitritt Tschechiens – konstatierte Petráček eine geringere Abwanderung junger Menschen aus Tschechien im Vergleich zu den Nachbarländern sowie im Falle von Wegzügen wegen Studium oder Ausbildung meist die Rückkehr – mit Verinnerlichung westlicher Standards. Der Vortragende wies auch auf den Aspekt der Selbstverwirklichung in den 1990er Jahren und das zunehmende politische und gesellschaftliche Engagement junger Menschen im Kontext der Wahlen 2006 und der Wirtschaftskrise 2008 hin. „Jetzt sehen die Lebenserwartungen nicht mehr so rosig aus, weder individuell noch gesellschaftlich. Nicht nur junge Menschen erleben nun auf traumatische Weise das wiederholte Versagen der politischen Eliten, wenn zum Beispiel Regierungen wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten müssen und Korruptionsuntersuchungen dann häufig im Sande verlaufen. Die jungen Menschen denken proeuropäisch und demokratisch, bei den Umfragen bestätigen sie ihre Unterstützung bürgerlicher prowestlicher Parteien, aber zu den Wahlen gehen sie in einem viel geringerem Umfang als andere Altersgruppen“, beschrieb der Professor die aktuelle Situation.

Umweltfragen würden beim bedeutenden Teil der Jugend als „Kernthemen des Lebens“ und in allen Dimensionen, politisch, spirituell und konkret, gesehen. Dabei würde etwa auch die Umweltenzyklika „Laudato si“ ebenso zur Diskussion herangezogen wie Aspekte vor Ort hinsichtlich der Bewahrung und des Schutzes der Schöpfung. Themen wie Fair Trade, Einfuhr billiger Textilien, ökologischer Fußabdruck, Zusammenhänge mit sozialen Fragen, Konsumeinschränkung, Müllsortierung, Schutz von Grünflächen, Flugbeschränkung sind, so Petráček, auch Themen von Studenten ohne kirchliche Bindung. „In der persönlichen Einstellung eines Teils der Jugend ohne religiöse Orientierung, was auch auf den überwiegenden Teil der tschechischen Bevölkerung zutrifft, übernimmt die ‚Umwelt‘ die Rolle von Spiritualität respektive die einer ‚Ersatzreligion‘“, erläuterte der Hochschullehrer. Er schilderte weitere Beispiele aus Oberschulen (Grundwasser, Baumfällen, Wald – Borkenkäfer, Dürren) und aus seiner Studentengemeinde („Interesse an einem gesunden, nachhaltigen, alternativen und genügsamen Lebensstil“). Dabei machte er auch darauf aufmerksam, dass besonders „Umweltverschmutzung und die allgegenwärtigen toxischen Chemikalien ein gewichtiger Grund“ für die Unfruchtbarkeit bei jungen Paaren seien. „Für mich ist es unbegreiflich, dass Gesellschaft und Politik dagegen nichts machen und nur fatalistisch zuschauen“, fasste er die Beispiele zusammen.

Die Sensibilität für Umweltfragen und die Kombination mit sozialen und ökologischen Fragen habe in den letzten Jahren zugenommen. Dem stehe aber unter anderem die Macht von Oligarchen und Industriekonzernen und die Reduzierung von Geldern für wichtige Bereiche des öffentlichen Dienstes gegenüber. Petráček sprach auch die Schließung der Schulen auf der einen und das uneingeschränkte Funktionieren der Industrie auf der anderen Seite während der Pandemie an. „Tschechien ist weiterhin eine ‚Montagewerkstatt‘, sie betont weiter Lehrfächer und technische Hochschulen, während andere Fächer lächerlich gemacht und nicht finanziert werden“, brachte er es auf den Punkt. Und wurde noch deutlicher: „Unter beachtlicher Teilnahme junger Menschen finden seit Mai 2017 Demonstrationen statt gegen die Interessenkollisionen des Ministerpräsidenten Babiš und gegen die prorussische und prochinesische Politik Präsident Zemans“, beleuchtete er das jüngste Engagement der jungen Generation. Diese sei vorbildlich sozial aktiv, wie sich an Hilfen für Senioren in der Pandemie zeigte, obwohl sie nach Ansicht von Soziologen und Psychologen zu den Hauptopfern der Coronakrise und des Regierungschaos zählten. Aus dem Umweltbereich nannte Petráček die jüngste Vergiftung des Flusses Bečva, verursacht vermutlich durch eine Umweltkatastrophe in einem Unternehmen von Babiš. „Angesichts des Persönlichkeitsprofils und des Charakters des derzeitigen Präsidenten sowie des Ministerpräsidenten und deren gegen das westliche Europa gerichtete, stagnierende und konservierende Politik fühlen sich die jungen Menschen nicht repräsentiert. Sie sehen keine Perspektiven, und so droht eine Abwanderung junger Menschen nach Westeuropa in gleichem Maße, wie in den postkommunistischen Nachbarländern“, zeigte er mögliche Konsequenzen auf.

Leider schließe sich die Kirche den Aktivitäten der Studenten nur begrenzt an – weder würden sie bei den Bischöfen noch in der Jugendarbeit thematisiert. „Trotzdem sind große studentische Gemeinschaften in Prag, Brünn/Brno, Olmütz/Olomouc oder eben Königgrätz/Hradec Králové, ebenso wie die Salesianergemeinden und weitere Pfarrgemeinden, Brennpunkte solcher Aktivitäten. Der Priester und Biologe Marek Vácha ist ein bedeutender Umwelt-Protagonist und als Experte für Bioethik Autor beliebter Bücher. Als solcher tritt er häufig in staatlichen Medien auf. Diese interessieren sich auch sehr für die Botschaften und Initiativen von Papst Franziskus. Hier besteht auf jeden Fall Interesse an größeren Aktivitäten“, konkretisierte der Professor. Er wies auch der Kommission Iustitia et pax und der Tschechischen Christlichen Akademie eine Rolle zu, ebenso einigen christlichen Medien. Mit den folgenden aufmunternden Gedanken beendete Petráček seinen Vortrag: „Die Kirche hat durchaus die Möglichkeit, sich an der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft zu beteiligen. Wichtig ist nur, sich nicht durch unnütze Rückzugsgefechten für häufig nur scheinbar christliche Werte zu schwächen, für alte Gesellschaftsformen, wie in den letzten Jahren geschehen. Wie uns Papst Franziskus gemahnt, ist die Zeit wichtiger als der Raum, statt der Verteidigung eroberter Gebiete, ist es viel fruchtbarer und zukunftsweisender Prozesse zu starten, mit mutigen Visionen und authentischen Zeugnissen mitreißend für Mitmenschen zu sein. Die Kirche hat in diesem Sinne etwas zu bieten und es ist schade, wenn die Pfunde der Heilsbotschaft, die gerade im Bereich der Bewahrung und der Weiterentwicklung der Schöpfung so interessant ist, vergraben bleiben. Die Gesellschaft, die sich gerade jetzt intuitiv und offen nach Quellen der Hoffnung und der Sinnhaftigkeit sehnt, verdient ein glaubwürdiges christliches Zeugnis.“

Rechtzeitig zurück in München von ihrem Impftermin in Prag war Generalkonsulin Kristina Larischová, die bereits vor Antritt ihrer diplomatischen Aufgabe als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie im Verwaltungsrat des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds mit deutsch-tschechischen Fragen vertraut war und ist. Das ihr gestellte Vortragsthema „Die Jugend- und Umweltpolitik des Tschechischen Staates“ weitete sie um einige Aspekte aus.

Manchmal erlebe sie Unzufriedenheit und Enttäuschung darüber, „wo unsere Politik und Gesellschaft 30 Jahre nach der demokratischen Wende steht“, bemerkte Larischová zu Beginn ihres Referats. Die Jugend sei prowestlich und proeuropäisch eingestellt, manche Dokumente der Regierung – vor allem zur Jugend- und Umweltpolitik – würden mit der Realität nicht in Einklang stehen, auch wenn großen Schlagworte wie etwa Integration, Chancengleichheit und Gerechtigkeit genannt werden. Konkret gebe es, so die Referentin, Defizite bei der Einbeziehung der Jugendlichen in die Mitgestaltung. Als einen Grund sah sie die mangelnde Bereitschaft der Jugend, sich zu organisieren, wodurch auch das Interesse an Politik schwinde. „Es fehlt die politische Bildung und das Bürgertum – und damit die rechtzeitige Vorbereitung zur Verantwortung“, erklärte die Generalkonsulin. Nach der Wende seien in Tschechien keine Einrichtungen für politische Bildung oder politische Stiftungen gegründet worden, wenig Wissen über Politik, Verwaltung und Geschichte sei bis heute die Folge. „Man hat alles dem freien Markt überlassen“, stellte sie fest – bis hin zu den heute agierenden Populisten in verschiedenen Lagern und den Fake News, die auf eine vor allem in der virtuellen Welt aktive Jugend treffen. Daher plädiert Larischová dafür, die Institutionen der Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendhilfe zu unterstützen und damit die Sensibilität Jugendlicher für politische Themen und politisches Engagement zu fördern.

Als weiteres Desiderat sieht Larischová das fehlende Geschichtsbewusstsein der Jugend vor allem zu den Ereignissen im 20. Jahrhundert. Hier verwies sie auch auf mangelnde Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Explizit nannte sie die „Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung der Deutschen und Ungarn aus ihrer Heimat. Die Vertreibungen sind zwar keine Tabuthemen mehr. Aber es besteht das Risiko, dass diese Themen vergessen werden und kein Interesse finden“, so Larischová. Daher seien Wege zu finden, „diese Themen plastisch und interessant darzustellen“.

Bezugnehmend auf die Nepomuk-Feiern betonte sie die Verdienste der Ackermann-Gemeinde gerade bei den „schmerzhaften Punkten der gemeinsamen Geschichte“, wobei es grundlegend darum gehe, Vorurteile abzubauen. Abschließend sprach sie noch einige Punkte an: die Polarisierung der Gesellschaft und die damit verbundene Art und Weise, wie bestimmte gesellschaftliche und politische Themen dargestellt werden. Hier empfahl sie zum Beispiel einen Dialog zwischen den Generationen. Zu stärken sei ferner das Ehrenamt in Form einer kreativen Freizeitgestaltung für andere Menschen statt Individualismus. Mit einem gesunden Lebensstil müssen für Larischová Umwelterziehung und Umweltbewusstsein einhergehen. Und Klimapolitik sei, so die Generalkonsulin, auch eine Angelegenheit der kleineren Staaten und nicht nur der „großen Akteure“. Aber sie ist sich auch sicher, dass die Klimapolitik in Tschechien nicht die Wahl im Herbst entscheiden wird.

 

Markus Bauer

Erzbischof Ludwig Schick Bamberg Ackermann-Gemeinde
Der Bamberger Erzbischof Dr. Ludwig Schick bei seiner Einführung ins Thema.
Tomáš Petráček Hradec Králové Königgrätz
Prof. Dr. Tomáš Petráček bei seinem Vortrag.
Tschechische Generalkonsulin Larischová
Die tschechische Generalkonsulin Kristina Larischová bei ihrem Referat.
Zoom Ackermann-Gemeinde Bamberg
Blick auf einen Teil der zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer.