Den Acker in einem friedlichen und freien Europa bestellen! Festgottesdienst und Festakt zum 70-jährigen Bestehen der Ackermann-Gemeinde

Mit einem Festgottesdienst in der Nürnberger Frauenkirche und einem Festakt im Historischen Rathaussaal feierte die Ackermann-Gemeinde ihr 70-jähriges Jubiläum und schloss damit den im Januar im nordböhmischen Wallfahrtsort Philippsdorf/Filipov begonnenen Reigen an Fest- und Gedenkveranstaltungen.

Das Motto des Gottesdienstes „Dass der Weg des Friedens neu sich bahnt durch Zeit und Raum“ nannte Msgr. Dieter Olbrich, der Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde, in seiner Begrüßung und stellte dieses auch in den Kontext der Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Der Pilsener Bischof Dr. Tomáš Holub übermittelte die Grüße der Tschechischen Bischofskonferenz und dankte der Ackermann-Gemeinde dafür, „was sie die lange Zeit der 70 Jahre für den Dialog zwischen unseren Ländern und Gruppen getan hat“, wobei beide Seiten immer wieder neu zu diesem Dialog fähig und bereit sein sollten im Sinne eines miteinander Gehens und einander Zuhörens. Für Holub ist die Ackermann-Gemeinde eine Brücke der Gemeinsamkeiten wie auch der Unterschiede.

Den das in Kürze zu Ende gehende außerordentliche Heilige Jahr prägenden Begriff der Barmherzigkeit griff der Hauptzelebrant der Festgottesdienstes, der Erfurter Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, der auch Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge ist, in seiner Predigt auf. Er stellte am Beispiel der Ehepastoral einen Zusammenhang zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit her, verwies aber auch auf Aussagen von Papst Franziskus sowie Gedanken und Handlungen Jesu Christi. Der Weihbischof nannte Beispiele für das Ehrenamt in den USA, das „dort einsetzt, wo Gesetze nicht mehr greifen“ - und auf diese Weise gelinge der Frieden in der Gesellschaft. Und hier kam er auf den Satz aus dem Johannes-Evangelium (Joh. 15,9): „Bleibt in meiner Liebe!“ Ergänzend verwies er auf den ersten Johannesbrief mit einer ähnlichen bzw. vertiefenden Aussage. Der Glaube an Jesus, den Sohn Gottes, und die Liebe zu ihm sei demnach „der Schlüssel, um die Menschheit zusammenzuführen“, so Weihbischof Hauke. „Die Ackermann-Gemeinde hat in den letzten 70 Jahren in Deutschland und vor allem im tschechischen Nachbarland versucht, den Geist des Friedens und der Versöhnung auf der Grundlage des Glaubens an Jesus Christus zu verbreiten. Durch Unterstützung im Bereich der Bildung wurden Brücken gebaut, die für viele schon selbstverständlich sind“, zollte er dem Jubel-Verband Anerkennung. Dabei verwies er auf viele persönliche Begegnungen mit Menschen, „die sich dem Gedanken der Versöhnung zwischen den Völkern verschrieben haben. (…) Allen, die sich in den 70 Jahren engagiert haben, gilt ein großes Lob und für sie erbitte ich den Gotteslohn. Denn ich bin sicher, dass sie es um Gotteswillen getan haben, der unser Tun in ewige Münze ummünzen möchte“, so Weihbischof Hauke. Er regte an, diesen über sieben Jahrzehnte gewachsenen und praktizierten Geist des Friedens und der Versöhnung als inneren Geist in die Gesellschaft zu bringen. „Frieden und Versöhnung bedeutet, dass ich einerseits die Fakten kenne und nenne, aber anderseits auch angesichts der Tatsache, dass der Mensch Fehler macht und sündigen kann, Vergebung anbiete, da ich sie selbst immer wieder von Gott erbitten muss“, konkretisierte der Weihbischof. In der katholischen Kirche gebe es dafür das Bußsakrament. „Aber auch Vergebung untereinander ist ein Lernfeld, das wir nicht unterschätzen dürfen. Man kann Vergebung nicht befehlen. Sie wird gern gewährt, wenn ich ihre Kraft und den Segen daraus gespürt habe. Sie pflanzt sich fort, wenn das befreiende Gefühl verspürt wurde, das Mut zum Neuanfang gibt“, so der Repräsentant der Bischofskonferenz. Er ging auch kurz auf das neue und zu diesem Anlass von Winfried Pilz getextete und komponierte Lied „Weithin über viele Grenzen“ ein, das die zur Versöhnung ausgestreckte Hand und die durch den Glauben und die Kirche verheißene Hoffnung zum Inhalt hat. Das Lied erlebte während der Gabenbereitung seine Uraufführung im Wechsel zwischen Chor und Gemeinde. Der Chor und das Instrumentalquartett des Rohrer Sommers unter der Leitung von Stephanie Kocher umrahmten den Festgottesdienst mit der „Woodard-Messe“ von Richard Shephard.

Bis auf den letzten Platz besetzt war mit rund 400 Gästen danach der Historische Rathaussaal zum Festakt unter dem Motto „Gemeinsam gefordert – als Deutsche und Tschechen für Europa aktiv“. Aus allen Bereichen, die mit der Arbeit der Ackermann-Gemeinde zusammenhängen – Bund, Land, Politik, Kirche(n), Kultur, Sudetendeutsche, Tschechen – waren die Gäste gekommen. Die Moderation oblag Rainer Karlitschek, für den musikalischen Rahmen sorgte das Erlanger Ensemble „Miasin zam“, eine Band, die aus einem Musikprojekt des Erlanger Flüchtlingsvereins EFIE e.V. Ende 2013 hervorging. Aus der langen Begrüßungsliste holte sich Karlitschek einige besondere Gäste heraus und zu einem kurzen Small-Talk aufs Podium. So den Nürnberger Stadtrat Marcus König als Vertreter der Mittelfranken-Metropole, der natürlich auf die Städtepartnerschaft mit Prag und die einige Tage zuvor eröffnete Landesausstellung über Kaiser Karl IV. – mit vielen Spuren in Nürnberg – hinwies. Die aktuellen Top-Themen der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde stellte die Bundessprecherin Maria Beilmann vor: Europa, Flüchtlinge, Radikalisierung der Gesellschaften in Deutschland und Tschechien. „Wir mögen uns, auch wenn wir verschiedene Meinungen haben“, beschrieb sie die Stimmung im Jugendverband. Und an die politischen und kirchlichen Entscheidungsträger appellierte sie: „Nehmen Sie die deutsch-tschechischen Beziehungen nicht von Ihrer Agenda!“ Die Band „Miasin zam“ stellte Projektleiter Martin Lehnerer vor. „Die Idee des Projektes besteht darin, Flüchtlingen, die in ihrer Heimat bereits professionell musiziert haben, die Gelegenheit zu geben, ihre Musik wieder spielen zu können und neue Musikstile kennen zu lernen“, so Lehnerer im Gespräch mit Rainer Karlitschek. So erklangen im Laufe der Veranstaltung neben „Ice cream“ unter anderem auch Lieder aus dem Libanon, der Ukraine, Tschechien oder der Oberpfalz, aus der Lehnerer stammt.

Angelehnt an ein Zitat des zweiten UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld dankte in seinem Grußwort der wiedergewählte Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler für „die segensreiche Arbeit der Ackermann-Gemeinde über sieben Jahrzehnte“. Dabei gelte es aber auch, „Ja“ für die Zukunft zu sagen, d.h. nicht stehen zu bleiben, sondern in die Zukunft zu schauen. „Als Deutsche und Tschechen, als Christen und Europäer sind wir zum Engagement aufgefordert“, appellierte der Bundesvorsitzende an die Ackerfrauen und -männer. Besonders der Einsatz für Europa ist ihm ein Anliegen – auch angesichts der derzeit scheinbar nur schwer zu lösenden Aufgaben und Probleme. Kastler erinnerte an den Start des Jubiläumsjahres am 13. Januar in Philippsdorf, an das die Ackermann-Gemeinde bis heute prägende Sühne- und Gelöbnisgebet von Pater Paulus Sladek aus dem Jahr 1946 und dankte allen, „die sich auf dieser Basis engagiert haben“. Der Bundesvorsitzende verwies besonders auf die Schwesterorganisation, die in Tschechien wirkende Sdružení Ackermann-Gemeinde mit ihrem Gründer und Vorsitzenden Kulturminister Daniel Herman und dessen Rede beim diesjährigen Sudetendeutschen Tag. Doch Tradition bedeute auch die „Weitergabe des Feuers“, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen, kam Kastler auf die Zukunftsaufgaben des Verbandes zu sprechen, wo immer mehr Personen verantwortlich und mitgestaltend sind, die Krieg, Flucht und Vertreibung nicht selbst erfahren mussten. Daher sei ein Plus der Ackermann-Gemeinde das über die Jahre und Jahrzehnte entstandene „versöhnte Miteinander“ von Deutschen und Tschechen, gemeinsame Pläne für die Zukunft und Kooperationspartner, mit denen man seit langer Zeit gut zusammenarbeitet. „Ackermann sein heißt, seinen Acker für eine gemeinsame Zukunft in einem friedlichen und freien Europa zu bestellen“, brachte es Kastler auf den Punkt. Und dazu gehöre auch – vor dem Hintergrund der Vertreibungserfahrung der Gründer – die Solidarität mit Menschen in Not, mit Vertriebenen und Flüchtlingen von heute. Aber besonders Europa ist Kastler wichtig. „Wir sind Europa und wollen nicht, dass es uns andere kaputt machen. Die Ackermann-Gemeinde wird weiter gebraucht und wir werden unsere Arbeit fortsetzen. Wir freuen uns über Jeden, der neu zu uns findet. Wir sind offen für Dialog, für unsere gemeinsame Zukunft in Europa“, forderte Kastler die Festakt-Teilnehmer auf, klar Flagge für ein friedliches, freies und demokratisches Europa zu zeigen.

„Es ist eine besondere Ehre, heute zum 70-jährigen Jubiläum der Ackermann-Gemeinde sprechen zu dürfen“, begann Daniel Herman, der tschechische Kulturminister und Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde, sein Grußwort. Denn angesichts der Geschichte der beiden Völker sei die gemeinsame Feier eines solchen Geburtstages alles andere als selbstverständlich. Herman verwies auf die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg – den Holocaust auf deutscher und die Vertreibung auf tschechischer Seite, aber auch auf die Gründer der Ackermann-Gemeinde, die gleichermaßen mit ihrer Heimat und im christlichen Glauben fest verwurzelt gewesen seien und „als Christen ihr Schicksal getragen haben“. Diese Grundhaltung habe zu Frieden, Integration und Versöhnung geführt, die Gründerväter der Ackermann-Gemeinde Hans Schütz und Pater Paulus Sladek hätten, so der Kulturminister, „weitsichtige Weichenstellungen“ vorgenommen, und schon während des Kommunismus habe es Kontakte zu Christen und Priestern in der damaligen Tschechoslowakei gegeben. „Dieses wertvolle Werk christlicher Nächstenliebe ist untrennbar auch mit Franz Olbert verbunden“, verwies er auf den früheren Generalsekretär der Ackermann-Gemeinde, der auch unter den Gästen war. Vieles, was in jenen Jahren erarbeitet wurde, sei Basis für die Aktivitäten nach der Sanften Revolution gewesen, so Herman. „Ich hatte keine andere Wahl, als Mitglied der Ackermann-Gemeinde zu werden“, drückte er seine Anerkennung aus, blickte aber auch nach vorne, zumal die Herausforderungen bei vielerlei Ängsten und Misstrauen in Europa enorm seien. „Es geht darum, immer wieder neue Impulse für die deutsch-tschechische Nachbarschaft zu setzen, und als deutsche bzw. tschechische Ackermann-Gemeinde einen Beitrag in unseren Ländern und für die Nachbarschaft sowie für Europa insgesamt zu leisten“, forderte Herman.

In seiner Festrede sprach Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft und auch Co-Vorsitzender des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums, der Ackermann-Gemeinde den „Dank der Bundesrepublik Deutschland und des Staates für Ihre Beiträge (aus), dass der steinige Weg der Partnerschaft gegangen werden konnte“. Er erinnerte an die Entschuldigungsworte Václav Havels hinsichtlich der Vertreibung der Deutschen, aber auch an die aktuellen Ereignisse im Kontext von Flucht und Vertreibung. Die Fundamente Dialog, christliche Werte bzw. kirchliche Basis, Herkunft aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien seien, so Schmidt, über die sieben Jahrzehnte Basis für die Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Aber auch die europäische Integration und viele kulturelle Gemeinsamkeiten seien ohne die deutsch-tschechische Nachbarschaft nicht möglich, so der Bundesminister weiter. Er erinnerte an den Satz von Hans Schütz „Wir wollen Baustein und nicht Sprengstoff sein“, der damals den Willen und die Bereitschaft der Heimatvertriebenen zur Integration ausdrückte, aber auch heute noch aktuell ist. „Versöhnung heißt, nicht die Unterschiede zuzudecken, sondern die Verschiedenheiten aufzunehmen und gemeinsam den Weg zu gehen“, erläuterte Schmidt diesen zentralen Begriff. Er rief den früheren und langjährigen Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Josef Stingl in Erinnerung, der dazu beigetragen habe, dass sich viele Ackerfrauen und -männer im sozialen Bereich engagieren. Auch Schmidt verschloss nicht die Augen vor den aktuellen, ja dramatischen Vorgängen in Europa und bat die Mitglieder der Ackermann-Gemeinde daran mitzuarbeiten, „dass wir in nichts hineinschlittern“ – wie vor 100 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Er fordere größere Gemeinsamkeit in Europa, griff die diversen Populismen an und appellierte inständig, verantwortlich mit der Freiheit umzugehen. Und als Kernprinzipien für Europa und das die deutsch-tschechische Nachbarschaft nannte er das aufeinander Hören, den Dialog und die Bereitschaft zu richtigen und tragfähigen Kompromissen.

Markus Bauer