Das Hinsetzen als Grundvoraussetzung für schriftstellerisches Schaffen

Beim inzwischen 7. kulturzoom der Ackermann-Gemeinde war eine Lesung von Dr. Alena Wagnerová aus ihrer Geschichte „Mühen des Hinsetzens“ angekündigt. Doch die an den 41 PCs versammelten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Tschechien, Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich erfuhren auch interessante Details aus dem Leben und Wirken der Autorin – in der Tschechoslowakei und in Deutschland.

 

Moderatorin Sandra Uhlich stellte die mit dem deutsch-tschechischen Journalistenpreis 2019 (Sonderpreis für langjährige, herausragende journalistische Tätigkeit) gewürdigte Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin kurz vor – anhand der vier Charakteristika evangelisch, Demokratin, ökologisches Bewusstsein, sozial bewusst. Die im Mai 1936 in Brünn geborene Publizistin widmet sich seit den 1960er Jahren dem Schreiben und zog „der Liebe wegen“ 1969 nach Saarbrücken – was damals, so Uhlich, eher ungewöhnlich gewesen sei.

Die Autorin schilderte, dass sie schon vorher an Treffen mit Deutschen und Österreichern teilgenommen und bei einer Tagung in Wien ihren späteren Ehemann kennengelernt habe. Ein von ihr in den 1960er und 1970er Jahren in der Tschechoslowakei und in der Bundesrepublik Deutschland intensiv bearbeitetes Thema war die Lage der Frau, Gleichberechtigung und Emanzipation – im Kommunismus der ČSSR wie auch in der jungen Bundesrepublik. Mit Blick auf die damalige Situation in Deutschland gegenüber der Tschechoslowakei sprach sie von einer „Rolle rückwärts“, auch wenn natürlich die politischen Rahmenbedingungen nicht vergleichbar waren. „Die Stellung der Frau war im Sozialismus anders, es gab andere Traditionen. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist die komplizierteste soziale Frage“, fasste sie zu diesem Thema zusammen.

Nach diesen einleitenden Gedanken las Wagnerová aus ihrer Geschichte „Mühen des Hinsetzens“ vor. Dabei wurde zunächst der Unterschied zwischen dem „sich setzen“ und „hinsetzen“ deutlich, denn zum „hinsetzen“ gehöre eine entsprechende Stimmung bzw. Bereitschaft, „es ändert unsere ganze bisherige Welt“, so die Autorin. Akribisch arbeitete sie in ihrer Geschichte psychologische, ja philosophische Aspekte heraus – vor allem zum Schreiben sei Hinsetzen nötig, um etwas Ordentliches zu schaffen. Der Zuhörer erfuhr, dass besonders ein Schlafwagenabteil im Zug zum Hinsetzen und Schreiben geeignet sei – „aber die Zeit des Hinsetzens richtet sich nach dem Fahrplan“. Schließlich verriet die Schriftstellerin, dass sie zuhause ein ganzes Netzwerk von Schreibplätzen und -stätten, d.h. Plätze zum Hinsetzen, habe, dies aber geheime oder halb geheime Arbeitsstätten seien.

Anerkennung für diesen „fabelhaften, feinfühligen Text“, aber auch für „Absurditäten des schriftstellerischen Wirkens“ zollte Moderatorin Uhlich. Sie verwies aber auch auf weitere Werke Wagnerovás etwa im deutsch-tschechischen Kontext: „Helden der Hoffnung“ (2008), „1945 waren sie Kinder“ (2016). Dabei geht es um doppelte Verfolgungsopfer (Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen) bzw. um die Erfahrungen von Kindern mit Flucht und Vertreibung. Wagnerová berichtete auch über die Entstehungshintergründe dieser und anderer Bücher. Mit Freude blickte sie auf die heute vielfach guten Kontakte in den Grenzregionen zwischen Deutschen und Tschechen. Aber für sie ist und bleibt im Blick auf die Geschichte eine Sache: „Als Tschechin bin ich dafür verantwortlich, was passiert ist. An der tschechischen Geschichte bin ich als Tschechin beteiligt“. So schreibt sie der deutschen Gesellschaft auch „eine beachtenswerte Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit“ zu, was in anderen Ländern hinsichtlich extremer Vorgänge (noch) nicht in dem Maße geschehen sei. Umso mehr ist für sie die Arbeit und Begegnung der Menschen in Grenzregionen ein wichtiger Baustein für den Frieden.

Markus Bauer

Dr. Alena Wagnerová beim Vortrag ihrer Geschichte
Ein Teil der Zuhörer bzw. Zuschauer beim Kultur-Zoom mit Dr. Alena Wagnerová
Moderatorin Sandra Uhlich bei der Vorstellung der Referentin
Die Ackermann-Gemeinde e.V. wird für die Kulturarbeit im Institutum Bohemicum aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert.