Begegnungen im Nachbarland

Im Herbst vor 25 Jahren fiel das kommunistische System in der Tschechoslowakei. In der Folge öffneten sich die Grenzen und freie Reisen ins Nachbarland waren nach Zeiten der Trennung durch den Eisernen Vorhang möglich. Die Ackermann-Gemeinde fragte auf dem Sudetendeutschen Tag in Augsburg die Besucher, was sie bei ihren Reisen nach Tschechien erlebten. In Stichworten wurden an einer großen Wand die „schönsten Erlebnisse“ und „größten Ärgernisse“ festgehalten. Damit sollte ein Dokument mit aktuellen Stimmungen geschaffen werden.

„Diese Aktion hat gezeigt, wie selbstverständlich für den Großteil der Sudetendeutschen Fahrten ins Nachbarland sind“, weiß Matthias Dörr, Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde, zu berichten. Viele intensive Gespräche hätten sich ausgehend von dieser Aktion am Stand der Ackermann-Gemeinde ergeben. Sehr unterschiedlich seien Besuche in den ehemaligen Geburtshäusern der Vertriebenen verlaufen: von herzlicher Aufnahme und daraus entstehenden Freundschaften bis hin zu aggressiven Abweisungen. So finden sich Stichworte von Besuchen in den Heimatorten sowohl bei den positiven wie bei den negativen Erlebnissen. Beklagt wurde in Beiträgen eine fehlende Zweisprachigkeit bei Beschilderungen sowie mangelndes Geschichtsbewusstsein bei Reiseführern. Auch der Zustand von Friedhöfen und Kirchen ließ, wie auf der Wand zu lesen ist, bei Besuchen in der alten Heimat traurige Gefühle entstehen. Menschliche Begegnungen dagegen sind laut Beiträgen der Sudetentagbesucher mit positiven Erinnerungen verbunden. Sehr oft tauchen im Zusammenhang mit den schönsten Erlebnissen auch kirchliche Ereignisse wie Wallfahrten auf. Namentlich genannt werden auch der frühere Bischof von Leitmeritz/Litoměřice Josef Koukl und der Bischof von Pilsen/Plzeň František Radkovský. „Beide haben „durch Predigten und Gesten der Versöhnung viel zur Heilung von Wunden beigetragen“, weiß Geschäftsführer Dörr aus der eigenen Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Im kulturellen Bereich wird in Beiträgen die Zusammenarbeit mit Kommunen und Museen gelobt. Auch positive Erlebnisse in Archiven finden sich auf der Wand. Bei der jungen Generation in Tschechien spürten Teilnehmer des Sudetendeutschen Tages bei ihren Reisen ins Nachbarland eine Offenheit gegenüber der Geschichte. Diese Beobachtung teilt auch der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde. Nach Dörr gingen „viele Aktivitäten zur Aufarbeitung der Geschichte im Nachbarland von aktiven jungen Menschen“ aus. Durch Besuche in den Heimatgemeinden und in Kooperation mit dieser aufgeschlossenen jungen Generation könnten die Vertriebenen noch stärker zum Erhalt der Kultur und zum Austausch beitragen, beschreibt Dörr ein wichtiges Aufgabenfeld.

Kaum eine Stelle der Wand blieb auf dem Sudetendeutschen Tag unbeschrieben. Fast einhundert Beiträge sind dort zu lesen. Gegen Ende der Aktion bildeten sich gar Menschentrauben, die mit großem Interesse das Geschriebene studierten. Erfreut zeigte sich Msgr. Dieter Olbrich, sudetendeutscher Visitator und Geistlicher Beirat der Ackermann-Gemeinde, darüber, dass die positiven Erfahrungen weitaus überwiegen. „Es ist beeindruckend, wie viel an Volksdiplomatie zwischen unseren Völkern besteht“, so der Geistliche. Dies trage zur „Aufarbeitung“ und zum „gegenseitigen Verstehen“ bei.

Die Beiträge der Besucher des Sudetendeutschen Tages sollen nicht einfach in der Schublade verschwinden. „Wir wollen dieses Dokument bei der Jahreskonferenz des deutsch-tschechischen Gesprächsforums präsentieren,“ berichtet Dörr. Diese findet im November dieses Jahres in Leitmeritz/Litoměřice statt und widmet sich der Bedeutung der Geschichte in den bilateralen Beziehungen. Dort werde dann den Akteuren des offiziellen deutsch-tschechischen Dialogs sichtbar, wie viel Positives sich entwickelt habe und wo es noch Hürden für Verständigung gebe, so Dörr, der auch dem Beirat des deutsch-tschechischen Gesprächsforums angehört.

ag

Zwei Tage herrschte reger und intensiver Austausch.