XXXIII. Brünner Symposium zum Thema Politik und Kirche
Bericht vom Freitag und Essaywettbewerb
Wie jedes Jahr luden die Ackermann-Gemeinde und die Berrnard-Bolzano-Gesellschaft zu ihrem „Dialog in der Mitte Europas“ am Wochenende um den Palmsonntag nach Brünn. Am Freitagabend begrüßten Albert-Peter Rethmann, der Vorsitzende der Ackermann-Gemeinde, und Matěj Spurný, der Vorsitzende der Bernard-Bolzano-Gesellschaft, im Historischen Sitzungssaal des Neuen Rathauses die gut 150 Teilnehmer zu einem Dialog über Kirche und Politik in Ostmitteleuropa. Die österreichische Botschafterin in Prag Bettina Kirnbauer und der tschechische Botschafter in Wien Jiří Šitler grüßten die Teilnehmer des Symposiums ebenso, wie die das Symposium mittragende Oberbürgermeisterin von Brünn Markéta Vaňková, wenn auch nur per Videobotschaft. Eine Ausnahme stellte in diesem Jahr der wiedergewählte Landeshauptmann Südmährens Jan Grolich dar. Er kam als Podiumsteilnehmer am Samstag früh in den Konferenzraum der Tagung im Hotel International Brno und sprach zu einigen Überlegungen als christlicher Politiker – er ist Mitglied der KDU-CSL. Die deutsche Botschaft in Prag vertrat Susanne Lindsay, die Leiterin des Kultur- und Protokoll-Referats.





Deutschen Botschaft, Prag



Das Eingangsgespräch, das die Rolle der Kirche in den säkularen Gesellschaften in Ostmitteleuropa einführte, bestritt Professor Tomáš Petráček, der Leiter des Lehrstuhls für Kultur- und Religionswissenschaften an der Universität in Königgrätz/Hradec Králové, mit den beiden Köpfen des Symposiums, wobei sowohl Rethmann als auch Spurný an der Karluniversität gelehrt hatten bzw. dies noch tun. Ein akademisches Gespräch also, das vollumfänglich auf Tschechisch geführt wurde, was es trotz Übersetzung ins Deutsche für die nur deutsch verstehenden Teilnehmer etwas mühsam machte, da die Feinheiten in einer Simultanübersetzung häufig weggeschliffen werden. Rethmann griff das Diktum Ernst-Wolfgang Böckenfördes auf, dass der „freiheitliche und säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen oder garantieren kann“ und ergänzte für sich auch schon, dass diese Voraussetzungen vor allem die Kirche liefere. Mittlerweile müsse man aber auch konstatieren, dass nicht nur oder sogar immer weniger die Kirchen dieses Fundament der Demokratie lieferten. Spurný beschrieb die Ausgangsfrage des Symposiums damit, dass bestimmte Entwicklungen in der Region betrachtet werden sollen. In Polen, in Ungarn und natürlich auch in Russland bemerke man eine dominante Rolle der Kirche in den politischen Prozessen dort. Was führe die Vertreter der Kirchen dazu, völkisches Gedankengut zu verbreiten und autoritäre Regime zu unterstützen? Diese Beobachtung sei aber nicht auf Ostmitteleuropa beschränkt. Die Vorgänge in Amerika in den letzten Monaten zeigten, dass es sogar eine globale Erscheinung sei. „Wir werden über die Wurzeln sprechen. Diese Fragen haben mit der Krise der liberalen Demokratie zu tun und mit der Rolle der Kirchen in dieser turbulenten Zeit. Diese Rolle darf vielschichtig und strittig sein.“
Petráček beschrieb die Situation der Kirche heute wie folgt: Die Änderungen in der Gesellschaft seien so vielfältig, man sucht nach einer ständigen Sicherheit, nach einem Ort, an dem sich nichts ändert. Man möchte einen Raum finden, wo man geschützt wird vor diesem ständigen Wandel. Aber das kann auch aus der Perspektive eines Historikers eine Illusion sein. Es gibt einen historischen Pessimismus, der sich so zeigt, dass die Geschichte unseren Anspruch auf den Glauben nicht bestärkt. Man werde dann misstrauisch. Auf Tschechisch sagt man, wir werden nichts Großes unternehmen, damit wir die kleinen Sachen nicht verlieren. Das ist aber eine Illusion, wie in Polen und der Slowakei, wo die Kirche sich der nationalistischen oder völkischen Welle anschließt. Aber damit ist kein positiver Inhalt verbunden.
Was sind denn die christlichen Werte innerhalb einer detaillierten Debatte? Anstatt sich in ideologischen Kämpfen zu verlieren, was gerade in der Slowakei und Tschechien in der Kirche gemacht wird, müsse man selbst die Werte und den Glauben authentisch mit Leben erfüllen. Man spricht sehr häufig von der Verteidigung der Traditionen. Eine Tradition, die man verteidigen muss, ist aber schon tot. Tradition ist etwas Tragfähiges. Dadurch entfaltet oder entwickelt sich die Gesellschaft. Und auch die Kultur ändert sich oder wird transformiert. Doch manchmal geht nur um ein Ringen um die Macht, um den Status quo beizubehalten. Das sei für ihn tragisch, wenn die eigene Kirche sich so positioniere, dass der Status quo, der Ist-Status dann zugunsten der Mächtigen verteidigt wird, weil es ihr gerade so passt – aus Angst vor diesen Emanzipationsprozessen. Da könnte jemand die Frage stellen, ob diese Positionen den Vorstellungen entsprechen, was gerecht und was richtig ist.



Das Programm umfasste am Samstagvormittag auch wieder die Vorstellung der Siegerbeiträge des mittlerweile 14. Europäischen Essaywettbewerbes für Studierende. Unter der bewährten Moderation von Oliver Herbst wurden die drei Preise zum diesjährigen Thema „Braucht die Politik die Kirche? Braucht die Kirche die Politik?“ verliehen. Den dritten Preis gewann Zuzana Siudová, eine Brünner Studentin der Umweltstudien und Ethnologie, die selbst anwesend war. Der zweite Preis ging an Lara Müller, die in Berlin an der Humboldt-Universität Sozialwissenschaften studiert, der erste Preis dann an Adrian Schroeder, der in Dortmund Immobilienmanagement für Immobilienkaufleute studiert. Beide konnten nicht vor Ort den Preis entgegennehmen, verlasen ihre Beiträge jedoch via Videoverbindung. Als Laudatoren brachten sich neben Rethmann und Spurny auch der Leiter der Bayrischen Repräsentanz in Prag und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments Martin Kastler ein. Der Essaywettbewerb ist ein auflockerndes Moment bei jedem der letzten Brünner Symposien mit interessanten Fragestellungen, wie immer nachlesbar auf der Website der Ackermann-Gemeinde.
Ulrich Miksch (Sudetendeutsche Zeitung)/ag
Siegerbeiträge:
1. Platz Adrian Schroeder - Deutsch | Tschechische Übersetzung
2. Platz Lara Müller - Deutsch | Tschechische Übersetzung
3. Platz Zuzana Siudová - Tschechisch | Deutsche Übersetzung
Bericht vom Samstag und Sonntag
Dazwischen präsentierte Milan Uhde, der 88-jährige Schriftsteller, Politiker und jüngst auch Mitglied des Deutschen Kulturvereins in Brünn, eine ausformulierte Auseinandersetzung mit dem polnischen Philosophen und Politiker der PiS Ryszard Legutko, der in seiner Heimat seit 2005 im Senat saß, kurzzeitig Bildungsminister seines Landes, dann Staatssekretär in der Kanzlei des Präsidenten war und seit 2009 EU-Parlamentarier für seine Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist. In einigen Publikationen stellte Legutko die Demokratie und die liberale Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Form in Frage und betonte, dass die Kirche wieder stärker in Machtpositionen auch im Staate kommen müsse. Unterbrochen wurden die Erläuterungen Uhdes, der bei aller Seriosität der Argumente Legutkos auch Gegenpositionen formulierte, von kritischen Bemerkungen von Matěj Spurný, dem Vorsitzenden der Bernard-Bolzano-Gesellschaft und von einer Intervention des ehemaligen 3. stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt Brünn in der Amtszeit von Petr Vokřál und einer der treibenden Kräfte für den Brünner Gedenkmarsch seit 2015 Matěj Hollan, der auf Parallelen zu den letzten Entwicklungen in den USA verwies. Er benannte auch eine spezielle Parallele zu Orbans Kurs in Ungarn mit dessen Idee der illiberalen Demokratie. Legutko sei im letzten Jahr von Orbans Stiftung für ein bürgerliches Ungarn der János-Hunyadi-Preis für seine herausragende Arbeit zur Verteidigung der europäischen Werte ausgezeichnet worden.
Und schließlich fand ein Gespräch geführt durch den Diplomaten Jan Šícha statt, das sich mit dem Wirken des Abtes Anastáz Opasek (1913-1999) vor allem nach 1969 auseinandersetzte. Der 1947 zum 60. Abt gewählte und dann 1993 zum ersten Erzabt des Klosters Breunau/Břevnov erhobene Anastáz (Johann Adalbert/Jan Vojtěch) Opasek wurde 1949 verhaftet, zu lebenslänglich Haft verurteilt und kam 1960 auf Bewährung frei, verbunden mit dem Verbot der Priestertätigkeit. Er wurde Bauarbeiter, bis er 1968 kurz in sein Kloster zurückkehren konnte. 1969 ging Abt Opasek ins Exil nach Westdeutschland, lebte in der Benedektinerabtei Rohr, die die vertriebenen sudetendeutschen Mitbrüder unterhielten, zu denen er sich gesellte. Wichtig für den „christlichen Kampf für die tschechische Sache“, wie die Gesprächsankündigung im Programm verriet, war jedoch die Gründung der katholischen Laienorganisation „Opus Bonum“ 1972 in Frankfurt/Main, die Abt Opasek mit dem Theologen Vladimir Neuwirth (1921-1995) realisierte und die ab 1978 Exiltreffen im kleinen Ort Franken in Bayern abhielt. Von diesen Treffen berichteten Lída Rakušanová, Journalistin ab 1975 bei Radio Free Europe und Zeitzeugin, und der Historiker am Institut für das Studium totalitärer Regime in Prag Petr Placák, der ein Buch über Abt Opasek geschrieben hat. Opus Bonum konnte aber auch deswegen funktionieren, weil die Ackermann-Gemeinde damals wesentliche Unterstützung leistete. Die eigentliche Seele war Abt Opasek, der es verstand Menschen zusammenzubringen, die sonst nicht am gleichen Tisch sitzen konnten. Rakušanová berichtete: „Es kamen alljährlich in Franken Sieger und Niedergeschlagene der 1950er Jahre zusammen. Die Sieger waren die Kommunisten, die 1968 die Partei verlassen hatten und ins Exil gegangen waren, die Niedergeschlagenen jene Tschechen, die in den 1950er Jahren bereits das Land verlassen hatten. Sie waren fähig miteinander zu sprechen und sich zu verstehen. Abt Opasek konnte Wunder vollbringen.“ Placák, der den Nachlass Opaseks und von Opus Bonum auswertete, fügte hinzu, dass es Abt Opasek mit seinen Freunden gelang, das abgeschlossene tschechoslowakische Exil miteinander ins Gespräch zu bringen und damit wirksam zu werden für die Zeit nach der Samtenen Revolution. Und vor einer ähnlichen Aufgabe der Verständigung stehe man heute wieder.
Die Podien bestückt mit wichtigen Persönlichkeiten wie dem Hauptmann Südmährens Jan Grolich, dem Geschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis in Freising und Theologen Prof. Thomas Schwartz, der Mitbegründerin der Stiftung Kreisau und Vorstandsmitglied des Clubs katholischer Intelligenz in Warschau Maryna Czaplinska, der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) aus Göppingen Irme Stetter-Karp trafen auf Wissenschaftler wie den Brünner Historiker und Philosophen Jiří Hanuš oder Kirchenleute wie die Benediktinerin und Äbtissin der deutsch-tschechischen Abtei Venio aus München Sr. Francesca Šimuniová OSB oder den Dozenten an der Theologischen Fakultät der Universität Tyrnau/Trnava, nordöstlich von Pressburg gelegen, Jozef Žuffa sowie Laien wie die Slowakin Katerina Hulmanová, die als Programmiererin aus Pressburg/Bratislava auch einige Jahre Mitglied des Päpstlichen Rates für die Laien war (Link zum Podium vom Samstag). Jeder hatte interessante Aspekte beizusteuern in einer höchst unterschiedlichen Ausgangslage für die Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche, die in Deutschland bei 24 Prozent der Bevölkerung noch Verbreitung findet, in Tschechien nur bei 11 Prozent, allerdings mit einem Schwerpunkt in Südmähren, in der Slowakei 68 Prozent, in Polen 72 Prozent. Hulmanová sprach kurz an, dass es in der Slowakei keine Kirchensteuer gäbe. Der Staat bezahle die Kirchen. Umso erstaunlicher die klare Formulierung der Slowakischen Bischofskonferenz, dass die Ukraine von Russland angegriffen worden sei. Oder die interessante Information von Frau Stetter-Karp, die anhand einer Sozialstudie bekanntmachte, dass die Katholiken in Deutschland den höchsten Anteil an ehrenamtlichem Engagement in der Bevölkerung leisteten.
Albert-Peter Rethmann dankte zum Schluss des Symposiums mit der Erkenntnis und der Hoffnung für die Zukunft, dass in Brünn wieder ein Raum geboten wurde, wo unterschiedliche Standpunkte formuliert werden konnten und nicht die klaren Fronten dominierten.
Ulrich Miksch, Sudetendeutsche Zeitung
Interview mit dem Bundesvorsitzenden Dr. Albert-Peter Rethmann zum XXXIII. Brünner Symposium: LandesEcho


















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Das XXXIII. Brünner Symposium findet statt unter der Schirmherrschaft von Dr. Markéta Vaňková, Primatorin der Stadt Brünn, und Jan Grolich, Hauptmann des Südmährischen Kreises.
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