Norbert Schmidt: Spannungen und Spaltungen in der katholischen Kirche Tschechiens
Zoom der Ackermann-Gemeinde zu „Aktuelle Perspektiven auf die katholische Kirche in Tschechien“
Aufgrund ihrer originären Aufgabe, die katholische Kirche vor allem in Tschechien zu unterstützen, widmet die Ackermann-Gemeinde immer wieder auch ihre monatliche Zoom-Veranstaltung diesem Thema. So lautete der Titel der Mai-Veranstaltung „Aktuelle Perspektiven auf die katholische Kirche in Tschechien“, wozu sich Interessierte an 42 PCs zuschalteten.
Auskunft gab diesmal Norbert Schmidt, der sowohl Architektur als auch Theologie an der Prager Karlsuniversität studiert hat. Er arbeitete zunächst vor allem als Architekt und veröffentlichte verschiedene Artikel, die immer wieder die Beziehung von Architektur, Kunst und Theologie reflektierten. 2009 wurde er zudem Leiter des Zentrums für Theologie und Kunst an der Katholischen Fakultät in Prag. Ferner ist er als Kurator bei der St. Salvator-Kirche in Prag engagiert und organisiert Vorträge und Debatten mit Persönlichkeiten aus Kunst, Architektur und Theologie.
Am Abend vor Beginn des Konklaves, bei dem diesmal – wie einleitend Moderator Rainer Karlitschek feststellte – kein tschechischer Kardinal vertreten war, gab also der vom Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Dr. Albert-Peter Rethmann empfohlene Referent Informationen zur momentanen Situation der katholischen Kirche in Tschechien, auch unter dem Gesichtspunkt der beiden Aspekte Architektur und Theologie.
Seine Konvertierung zum Katholizismus in den frühen 1990er Jahren sei, so Schmidt, der Grund für das zusätzliche Studium der Theologie – nach dem der Architektur – gewesen. „Anfangs standen die zwei Säulen nebeneinander, danach haben sie sich immer mehr miteinander verflochten“, blickte der im Hauptberuf als Architekt Tätige zurück. Mit etwas Stolz bemerkte er, dass er viel auf der Prager Burg arbeitet, die für ihn auch viel Spirituelles biete und mit der deutschen Geschichte verbunden sei. Das Theologiestudium habe dann die Tätigkeit in der Studentengemeinde mit sich gebracht, wo er auch mit Tomáš Halík in Kontakt gekommen sei. Nicht unerwähnt ließ Schmidt, dass früher auch Pater Dr. Paulus Sladek, der Mitbegründer der Ackermann-Gemeinde, hier Studentenpfarrer war. Mit dem jetzigen Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde hat er das Zentrum für Theologie und Kunst gegründet, um so das Engagement der Kirche für Architektur und Kunst stärker ins Blickfeld zu rücken. Und dies „nicht nur theoretisch, sondern auch durch konkrete Kunstinstallationen mit den besten Künstlern und Architekten“, erläuterte der Referent. Der Dialog habe aufrechterhalten werden können, viele internationale Projekte habe es gegeben – „ein sehr breites Spektrum der Arbeit. Aber seit einem Jahr sind wir nun nicht mehr an der theologischen Fakultät der Karlsuniversität, sondern ein Teil der Christlichen Akademie“, stellte er zum Ist-Zustand fest.
Hintergrund sei ein Dissens bzw. Streit wie bereits in den 1990er Jahren bezüglich der Ausrichtung der katholischen Fakultät der Karlsuniversität. Jetzt gebe es vielfach „eine andere Sicht der Dinge, die Kirche ist gespalten, es gibt Spannungen in der tschechischen Kirche, man kann von zwei Mentalitäten sprechen“, konkretisierte Schmidt. Einige Bischöfe seien rechts, würden mit totalitären Systemen liebäugeln, hätten Angst vor einer liberalen Gesellschaft und stünden nationalistischen Gedanken nahe. Vergleichend zeigte Schmidt die Strukturen in der Slowakei auf, wo seiner Ansicht nach die Kirche „sehr feudal“ sei und politisch eine stark national geprägte Regierung herrsche. Tomáš Halík zitierend sprach er von einem „Katholizismus ohne Christentum“. „Diese Sicht des Katholizismus soll auch in Tschechien gefestigt werden, dieser Bruch zeigt sich auch an der theologischen Fakultät“, führte Schmidt aus.
Anhand eines Beispiels – den Reaktionen auf einen Fernsehgottesdienst in einer Kneipe – skizzierte er die Situation: Seitens des Prager Bistums habe es eine Beschwerde gegeben, dass der beteiligte Priester mit eben diesem Gottesdienst, der für missionarische Offenheit gestanden habe, zu weit gegangen sei. Die Konsequenz sei die Entbindung des Priesters von seinen Verpflichtungen in seiner Kirche gewesen. Dabei seien die eingegangenen Beschwerden nur von einer kleinen Minderheit gekommen. Unverblümt sprach Schmidt von einem nicht nachzuvollziehenden Umgang mit einem Menschen. Gerade in der jetzigen Phase, wo die katholische Kirche einen großen Schritt in die Selbständigkeit macht, seien derartige Vorkommnisse – auch mit Blick auf die Jugend – wenig verständlich. „Es toben Kulturkämpfe. Der Kernpunkt ist der Umgang mit der Pluralität“, brachte es Schmidt – auch zusammenfassend – auf den Punkt.
Die Fragen der Teilnehmer bezogen sich auf mögliche künftige Kooperationspartner für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit („Wo ist Raum für kirchlich-intellektuelles Leben in Tschechien?“), die Existenz der Untergrundkirche (ehemalige Angehörige sind nicht mehr aktiv), die Kriterien für christliche Kunst und deren Auswahl sowie die Existenz von Laienorganisationen, die es – zumindest vergleichbar mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken – in Tschechien und in Osteuropa nicht gibt und, so Schmidt, von manchen Bischöfen auch nicht gewünscht seien.
Markus Bauer




