Botschafter der Versöhnung Msgr. Anton Otte verstorben

Am 29. Dezember 2021 starb in Scheßlitz bei Bamberg Monsignore Anton Otte. Der langjährige Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde wurde 82 Jahre alt. „Versöhnung war das Lebensthema von Toni Otte“, erinnert sich Martin Kastler, Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde. Dass er in Deutschland wie in Tschechien hohes Ansehen genoss, sei jedoch keine Selbstverständlichkeit. „Allzu oft stieß er in den vergangenen Jahrzehnten bei Tschechen wie bei Sudetendeutschen auf Ablehnung, wenn er für gegenseitiges Verständnis und Dialog warb.“ Die Rolle als Botschafter der Versöhnung sei ihm jedoch durch seine Biographie und durch sein Selbstverständnis als Priester auf den Leib geschrieben. So ging er seinen Weg unbeirrt.

Anton Otte wurde am 15. August 1939 im schlesischen Weidenau (Vidnava) geboren. Zu Kriegsende musste er als Kind erleben, wie sein Vater von einem tschechischen Gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Ein schwerer Schlag für die Familie, die nach 1945 zunächst nicht vertrieben wurde und als deutsche im neuen tschechischen Umfeld unter Schikanen litt. In dieser Zeit erlernte Otte die tschechische Sprache. Damals sei er trotz alledem zu einem „Böhmen“, zu einem „tschechischsprachigen Deutschen“ geworden, berichtete Otte einmal, da ihm viel „an der Zweisprachigkeit und den zweierlei Kulturen“, in denen er sich wohl fühlte, lag. 1960 dann verließ er mit seiner Familie als Spätaussiedler die kommunistische Tschechoslowakei, da er wegen der Einstellung seiner Familie zum herrschenden System nicht zum Theologiestudium zugelassen wurde. Im Westen studierte er Theologie in Königstein, Wien und Bamberg und wurde 1967 in Bamberg zum Priester geweiht. Nach Stationen als Kaplan, Jugendseelsorger und Gymnasiallehrer war er als Dekan im Strafvollzug seelsorgerisch tätig.

Nach der Wende kehrte Otte 1991 in seine Heimat zurück und leitete in Prag die neu geschaffene Arbeitsstelle der Ackermann-Gemeinde. Seither vertrat er dort die Ackermann-Gemeinde. Einige Jahre war er dort im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zusätzlich für die deutschsprachige Seelsorge verantwortlich. Viel war er seitdem im gesamten Land unterwegs, feierte Gottesdienste, predigte und warb für gegenseitiges Verständnis und für Versöhnung. „Wir müssen gefühlvoll miteinander umgehen,“ mahnte er dabei. Gerade in der aufgeheizten Stimmung der 1990er Jahre war die vermittelnde Rolle Ottes von großer Bedeutung. In Interviews mit tschechischen Medien wies er auf das erlittene Schicksal der vertriebenen Mitbürger deutscher Nationalität hin und warb für Empathie. Mit der tschechischen Studentengruppe Antikomplex war er viele Jahre an tschechischen Schulen unterwegs, um jungen Menschen von der leidvollen deutsch-tschechischen Geschichte, die auch seine eigene Lebensgeschichte ist, zu erzählen. „Er hat uns das Thema der deutsch-tschechischen Versöhnung ganz persönlich durch die eigene Geschichte eröffnet“, so Ondřej Matějka, der längjährige Leiter von Antikomplex. Dabei sei er stets „mehr als ein Zeitzeuge“ gewesen. Er habe Antikomplex geholfen, „das auf den ersten Blick politische Thema zu einem persönlichen und gar intimen Auftrag für einen jeden von uns zu machen“, blickt Matějka zurück. Als Seelsorger, die einzelnen Menschen und ihre Schicksale im Blick, war er auch in Deutschland bei Wallfahrten und Gottesdienste ein gefragter Priester und seelsorglicher Begleiter.

Die Versöhnungsarbeit der Ackermann-Gemeinde hat er seit Jahrzehnten an vielen Stellen verantwortlich mitgetragen. So war er neben Funktionen im Bamberger Diözesanverband und in der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde von 1992 bis 2010 Geistlicher Beirat der Ackermann-Gemeinde auf Bundesebene. Die Ackermann-Gemeinde ehrte Otte im Juni 2011 mit ihrer höchsten Auszeichnung, der Versöhnungsmedaille im Gedenken an Hans Schütz. Für den Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler ist Otte das Sinnbild für den Weg des Dialogs und der Versöhnung. Diesen habe er schon in einer Zeit beschritten, als die Fronten zwischen Deutschen, insbesondere Sudetendeutschen und Tschechen noch verhärtet waren, hebt der ehemalige Europaabgeordnete hervor. „Mit seinem Engagement hat er die Basis dazu mitgeschaffen, dass sich das deutsch-tschechische Verhältnis so positiv entwickeln konnte“, würdigt der Bundesvorsitzende den langjährigen Repräsentanten seiner Gemeinschaft in Prag. Der tschechische Kulturminister a.D. und ehemalige Vorsitzende der tschechischen Sdružení Ackermann-Gemeinde Jaromír Talíř betont: „Trotz aller Schicksalsschläge hat er sich nicht von seiner Heimat abgewandt, sondern intensiv an der deutsch-tschechischen Aussöhnung gearbeitet.“

Der damalige Prager Erzischof Kardinal Milsolav Vlk ernannte 2001 Otte zum Ehrenkanoniker und 2005 zum residierenden Kanoniker des Königlichen Kollegiatskapitels St. Peter und Paul auf dem Vyšehrad zu Prag. 2009 wurde er zu dessen Dekan gewählt wurde. Im Oktober 2011 stieg Msgr. Otte zum Propst auf. Damit stand nach mehr als 150 Jahren wieder ein Deutscher dem Vyšehrader Kapitel vor. Kardinal Duka betonte damals, die Wahl Ottes sei ein Zeichen an die deutschen Landsleute „nach den Jahren der Versöhnung und der neuen Zusammenarbeit“. Otte selber sah diese Ernennung „als ein Zeichen, dass unsere Bemühungen um die deutschen-tschechischen Beziehungen gefruchtet haben.“ Für Duka war Otte „einer von den böhmisch-mährisch-schlesischen Gestalten alten Formats“. „Er gehört zu der Generation, welche die geschichtlichen Ereignisse und deren Folgen zutiefst und schmerzlich getroffen haben. Aber er sah die Versöhnung als den einzigen Ausweg für eine unbelastete Zukunft.“

Doch nicht nur in der Kirche genießt der Geistliche hohes Ansehen. Für sein Wirken wurde er auch mehrfach von staatlicher Seite geehrt. 1996 zeichnete der tschechische Präsident Václav Havel Otte mit dem Masarykorden aus und 1997 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Im Jahr 2013 verlieh ihm der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer den Bayerischen Verdienstorden. In der Begründung hieß es treffend: „Durch seine Herkunft und seinen Lebensweg ist Anton Otte sozusagen eine lebendige Verkörperung der Aussöhnung zwischen Deutschen und Tschechen.“

In großer Dankbarkeit blickt die Ackermann-Gemeinde auf Ottes segensreiches, priesterliches Wirken sowie auf die Freundschaft und den gemeinsamen Weg mit „Toni“. Möge der Herr ihm alles Gute vergelten, das er in seinem Erdenleben getan hat, um ihm das ewige Leben schenken.

 

ag

Die Traueranzeige zum Download hier

 

Das Requiem fand am Freitag, den 7. Januar 2022, um 9.00 Uhr im Dom St. Peter und St. Georg in Bamberg statt. Um 11.00 Uhr schloss die Beerdigung an.

Begrüßung Erzbischof Dominik Kardinal Duka, Prag: Download

Predigt von Erzbischof Dr. Ludwig Schick, Bamberg: Download

Ein weiteres Requiem wurde am Samstag, den 8. Januar 2022, um 11.00 Uhr in der Basilika St. Peter und Paul auf dem Vyšehrad in Prag gefeiert: Fotogalerie

 

Erinnerungen an Msgr. Anton Otte:

Radiobeitrag von Kilian Kirchgeßner im Deutschlandfunk (15.05.2019; 19:52 Min.): Versöhung. Beten für Europa

Mitschnitt der Buchpräsentation des Buches "Vzdelená Evropa? / Fernes Europa?" von Anton Otte auf dem Vyšehrad (Januar 2019, überwiegend in tschechischer Sprache, 51 Min.): Youtube-Video

Gespräch mit Anton Otte in der Sendung "Z oči do oči" [Auge in Auge] im Tschechischen Fernsehen ČT im Jahr 2002 (in tschechischer Sprache, 26 Min.): Mediathek ČT