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„Viele kleine Schritte, um zur Zeitenwende im Großen zu kommen“

32. Brünner Symposium stellte die Frage: „Wohin treibt Ostmitteleuropa?“

Mit rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern - vor allem aus Deutschland und Tschechien, aber auch aus Österreich, Polen, der Slowakei und Ungarn - bestätigte am Palmsonntag-Wochenende das inzwischen 32. Brünner Symposium „Dialog in der Mitte Europas“ die hohe Wertschätzung dieser inzwischen traditionellen Veranstaltung. Federführend von der Ackermann-Gemeinde und der Bernard-Bolzano Gesellschaft organisiert, stand das Thema „Wohin treibt Ostmitteleuropa? Risiken und Herausforderungen der Zeitenwende“ im Zentrum.

„In Mitteleuropa ist der Krieg seit 2022 eine spürbare Realität“, stellte in seinen Worten zur Eröffnung der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Dr. Albert-Peter Rethmann fest und verwies auf das prägende Wort „Zeitenwende“ von Bundeskanzler Olaf Scholz, das sich auch im Untertitel des Symposiums findet. Neben dem Frieden und der Sicherheit sei „die Demokratie von außen bedroht“, ergänzte Rethmann und erinnerte an die bekannt gewordenen Gräueltaten der Russen in der Ukraine. „Es ist auch der Versuch, einen Staat von der Landkarte zu löschen sowie Nationalismus, Lügen und Hass zu forcieren“, vertiefte der Bundesvorsitzende. Zu verteidigen gelte es besonders die gemeinsamen Werte und die Menschenrechte. „Die Zukunft des Westens liegt in der Zukunft des Wertes der Würde eines jeden Menschen“, fasste Rethmann zusammen.

An die Ursprünge des Symposiums vor 32 Jahren in Iglau erinnerte der Vorsitzende der Bernard-Bolzano-Gesellschaft Dr. Matěj Spurný. Auch heute noch gebe es viele Dinge, die belasten können – äußere (zum Beispiel der Krieg in der Ukraine) und innere Gefahren (etwa die Fähigkeit zur Einigung auf der Grundlage der gemeinsamen Werte der Völker und Länder). Das Brünner Symposium sei jedes Jahr geprägt von einem „anspruchsvollen Dialog – auch bei unüberbrückbaren Unterschieden“, so der Vorsitzende.

Zur zentralen Frage des Symposiums „Wohin treibt Ostmitteleuropa?“ äußerten sich in der einleitenden Arbeitseinheit im Historischen Sitzungssaal des Brünner Rathauses der stellvertretende Außenminister der Tschechischen Republik Eduard Hulicius und der Politikwissenschaftler Dr. Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Von einer „Zeitenwende der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Ebenen“ sprach Lang. Er wies zum einen auf schnelle Reaktionen in Deutschland (z.B. Gasversorgung, Erhöhung der Verteidigungsausgaben, NATO-Brigade in Litauen – gestellt von der Bundeswehr) hin, verdeutlichte aber auch, dass das Denken in geopolitischen Kategorien in Deutschland noch schwerfalle. „Der Westen hat seine weltweite Prägekraft weitgehend eingebüßt“, sprach der Politologe mit Blick auf Länder des globalen Südens einen weiteren Aspekt an. Auch fragte er nach „unseren Verbündeten in einer posthegemonialen Situation“. Es gelte Partner für diese Werte zu finden und auch mit Staaten zu kooperieren, „die nicht dahinterstehen“. Lang sprach abschließend den Aspekt der Desinformation an, weshalb Vertrauen und Glaubwürdigkeit an erster Stelle stehen sollten.

Bei der Zeitenwende müsse man in einer längeren Perspektive denken, meinte Hulicius. Doch angesichts des seit 2022 herrschenden „Krieges gegen Freiheit, einen Staat und Völker“ und damit einem Bruch des Handelns seit 70 Jahren sei das Wort „Zeitenwende“ berechtigt. Auch er sprach in Bezug auf die Europäische Union die geopolitische Situation an. „Der Westen ist immer noch attraktiv. Viele haben vor, hier zu leben und zu arbeiten“, bezog der stellvertretende Außenminister Position zu Langs Aussage, meinte aber auch, dass die westlichen Werte durch Putins auch gegen den Westen gerichteten Krieg nun unter Druck geraten seien. Schwierig sei es daher, von „universellen Werten“ zu sprechen. „Es ist unser aller Aufgabe, der Menschheit diese Werte zu vermitteln“, forderte er. Dazu gehöre, die Bildung zu intensivieren – auch vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Medienlandschaft mit unzähligen Rundfunk- und Fernsehkanälen sowie den Sozialen Medien. „Wir müssen wieder mehr miteinander sprechen und zuhören, auch außerhalb unserer Informationsblase. Das kostet aber Zeit und Geduld“, fasste Hulicius zusammen und appellierte zu „mehr Mut und nicht so viel Angst und Sorge“.

... Fortsetzung des Berichts siehe unten

Im Podiumsgespräch am Samstagvormittag im Konferenzsaal des Hotel International ging es um das Thema „Mittel- und osteuropäische Beziehungen im Umbruch. Eine historisch-politische Einordnung“. Moderiert vom Politikwissenschaftler Ondřej Matějka nahmen dazu folgende Politologen Stellung: Dr. Péter Hevő aus Budapest, Dr. Zuzana Lizcová aus Prag, Dr. Uwe Optenhögel aus Brüssel und Dr. Monika Sus aus Warschau.

Drei Perspektiven beleuchtete Sus, die unter anderem Dozentin für Politikwissenschaft an der Polnischen Akademie der Wissenschaften ist. Für Deutschland stellte sie die rasche Umstellung in der Energieversorgung und die starke Unterstützung der Ukraine fest, aber auch Defizite in der Kommunikation und beim Verständnis, „wie tief der Wandel sein muss, zumal viele Grundpositionen erschüttert sind“. Exemplarisch nannte sie das viel zitierte Konzept „Wandel durch Handel“ und die Veränderungen im Verhältnis zu den USA. „So ein tiefer Wandel braucht Zeit und Verständnis“, meinte Sus. Kritisch sah sie zudem lange Debatten (z.B. Lieferung von Leopard-Panzern und Taurus-Marschflugkörpern) sowie weit auseinanderliegende Positionen etwa des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Bei den Visegrád-Staaten sah sie viele Unterschiede. So würden die Regierungen in Ungarn und der Slowakei die Bedrohung und ein mögliches Kriegsende anders wahrnehmen als die in Polen und Tschechien. Daher sei überlegenswert, mit variablen Konstellationen zu arbeiten. „Tschechien kann da und dort eine Führungsrolle übernehmen, auch mit anderen Ländern. Für die Zukunft Europas sind Aktivitäten aller Länder nötig. Der deutsch-französische Motor wird uns nicht vorwärts bringen, die mitteleuropäischen Länder sind stärker zu integrieren“, forderte die Dozentin. Für ihr Heimatland Polen bzw. die neue Regierung von Donald Tusk sieht sie in Russland und dem Populismus die größten Gefahren. „Es ist immer noch ein großer Teil, der nicht proliberal ist“, stellte sie fest und sprach auch von zu erwartenden Transformationsverlusten. Dennoch sehe sich der überwiegende Teil der Gesellschaft als Teil der Europäischen Union, in der die Polen eine starke Rolle spielen wollen. Eine Aufgabe Polens sieht Sus im Engagement für mehr Einsatz zugunsten der Ukraine – auch durch Gespräche in den USA. „Wir machen viel - aber viel zu wenig für die Ukraine“, erklärte sie.

Die Perspektive der Gesellschaft rückte Lizcová in den Fokus. „Wir vergessen, dass die Trennungslinien quer durch die Gesellschaften laufen. Aktuell sei die tschechische Gesellschaft zwar ein „Musterbeispiel“, aber unklar sei die Situation in der Zukunft. Wenig Verständnis hat sie für Erschöpfungszeichen in der Gesellschaft, ihrem Land Tschechien riet sie, „sich vom russischen Einfluss zu befreien“. Als Problem sowohl in tschechischen wie in deutschen Debatten sieht sie die Ähnlichkeit beider Regierungen, die sich aus unterschiedlichen Parteien zusammensetzen, weshalb oft „unangenehme Kompromisse“ nötig seien. „Die Regierungen sind nicht in der Lage zu sagen, dass es einiges Geld kosten wird. Das nutzen populistische Parteien aus“, konkretisierte Lizcová. Außerdem erinnerte sie an die vielen Krisen der jüngsten Zeit und damit verbundene resignierte Stimmungslagen, weil Lösungsfindungen häufig lange dauern – auch wegen zögerlichen Verhaltens von Politikern. Wichtig sei daher, bestehende Institutionen zu stärken, die den Desinformationen Paroli bieten können, und bei Hilfen oder in der Bildungsarbeit aktiv zusammenzuarbeiten – auch in kleinen Schritten. Sie appellierte zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Resilienz und verwies auf das Beispiel Finnland. Für Tschechien schlug sie Verbesserungen im Schulsystem, die Stärkung der Funktion des Staates als Dienstleister und einen „größeren Akzent auf regionale Einheiten, zum Beispiel Grenzregionen“ vor.

Die Probleme bei den Visegrád-Staaten griff auch Péter Hevő auf. „Die Positionen können im Falle der Ukraine kaum unterschiedlicher sein“ – mit Polen, Tschechien und der Slowakei als Unterstützer auf der einen und Ungarn als Blockierer auf der anderen Seite. Die Beendigung dieser Krise hänge unter anderem vom Ausgang der US-Wahlen und der Dauer des Ukraine-Krieges ab. Doch für sein Heimatland Ungarn sieht Hevő zumindest in den nächsten Jahren keine politischen Veränderungen. Die kritische Haltung gegenüber dem Westen und dem dort wahrgenommenen Lebensstil werde bleiben, darüber hinaus habe sich in Ungarn ab 2010 eine tiefere Abhängigkeit von Russland und eine größere Distanz zum Modell der westlichen liberalen Demokratien und schließlich auch zur EU entwickelt. „Die ungarische Sicherheitspolitik ist vollkommen anders. Ich sehe keinen Grund, warum sich die ungarische Außenpolitik verändern soll“, fasste der Wissenschaftler zusammen. Im Kontrast dazu sei in Polen Russland schon immer als „Quelle der Instabilität“ betrachtet worden. Angesichts der Wahl Robert Ficos zum Ministerpräsidenten der Slowakei mit prorussischen Äußerungen fragte Hevő, ob das eine Basis für andere Wahlen sein kann.

Einen Blick auf die innenpolitischen Faktoren in den mittel- und osteuropäischen Ländern warf Uwe Optenhögel. „Können die Regierungen das liefern, was ihre Bevölkerungen von ihnen erwarten? Das ist in den vier Ländern unterschiedlich“, führte der Vize-Präsident der Foundation for European Progressive Studies einleitend aus. Immerhin seien diese vier Staaten zusammen der größte Handelspartner Deutschlands, und in allen vier Staaten seien die Parteisysteme in Bewegung. Durch den Ukraine-Krieg sei insgesamt die Stellung Mittel- und Osteuropas gestärkt worden. „Sicherheit in Europa ist nur gegen Russland möglich. Geändert hat sich die Wahrnehmung Russlands im Westen“, erklärte Optenhögel und skizzierte kurz die deutsche Ostpolitik seit 1970, die von der Russland-Politik geprägt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund warnte er davor, künftige Ostpolitik rein an der Ukraine zentriert zu gestalten. „Wir haben verpasst zu verstehen, dass die russische Regierung unter Putin den Wertekonsens verlassen hat“, verdeutlichte der Politologe und ging auf einige im 18. oder 19. Jahrhundert verwurzelte Aspekte von Putins Weltbild ein. „Dem müssen wir uns mit allem, was wir haben, entgegensetzen“, forderte er. Besonders die baltischen Staaten, Polen und Tschechien seien gute Vorbilder, wobei es gelte, auch in den Gesellschaften mit großem Einsatz für die Werte (Freiheit, Demokratie usw.) zu kämpfen. Als einen wichtigen Aspekt sieht Optenhögel die Führung eines Staates – insbesondere in einer Krise. „Die Personen an der Spitze eines Staates machen den Unterschied“, stellte er grundsätzlich fest. Doch auch das Umfeld, vor allem die Strukturen heutiger Kommunikation, sei zu betrachten. „Interaktion nur noch in Blasen, nicht mehr außerhalb und heutige Posts in Echtzeit – das ist völlig verantwortungslos“, kritisierte er. Er warb für eine Regulierung dieser digitalen Bereiche, für einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt und – wie Lizcová – für Regionalentwicklung. Aktiv müsse man sich mit Populisten auseinandersetzen, die Komplexität von Sachverhalten darstellen und verdeutlichen, dass einfache Antworten oft nicht möglich sind. „Wir müssen Russland ernst nehmen, aber nicht überschätzen. Die Krise ist eine Chance, wenn man sie wirklich nutzt“, schloss Optenhögel seine Gedanken.

Das abschließende Podiumsgespräch am Sonntagvormittag behandelte die These „Der Wandel ist notwendig – ein Konsens zunehmend schwierig“. Moderiert von Dr. Zuzana Jürgens, der Geschäftsführerin des Adalbert Stifter Vereins, bezogen dazu folgende Personen Position: Dr. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, Dominik Kretschmann, Leiter der Gedenkstätte der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, der Soziologe Prof. Dr. András Máte-Tóth aus Szeged, Prof. Dr. Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer von Renovabis, und der tschechische Ministerpräsident von 2001 bis 2004 Vladimír Špidla.

Nicht überrascht vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine war Máte-Tóth, der daher auch den Begriff „Zeitenwende“ kritisch sieht – trotz persönlicher Verbundenheit mit der Ukraine. Vielmehr verwies der ungarische Soziologe auf eine teilweise immer noch sehr geringe Aufmerksamkeit gegenüber Mittel- und Osteuropa. „Man kann bzw. muss die riesige kriegerische Aktion als rote Linie aufzeigen. Wir haben unsere Hausaufgabe hinsichtlich der Einigung Europas noch nicht wirklich gemacht“, kritisierte Máte-Tóth. Er sprach darüber hinaus von wirklichkeitsfremden Darstellungen in den ungarischen Medien, die „einen Schleier gegenüber der realen Wirklichkeit“ legen. In den meisten Länder Mittel- und Osteuropas würden „zivilgesellschaftliche Kontexte“ fehlen. Vor diesem Hintergrund plädierte Máte-Tóth für mehr Subsidiarität und echte Freundschaft.

„Die tschechische Gesellschaft ist stark fragmentiert, es gibt keine fixen Positionen, keine klar definierten ideologischen Cluster“, stellte Špidla fest. Er verwies auf existente Ängste etwa wegen des Klimawandels oder Ablehnung von Politikern, die Veränderungen (Kohle etc.) schon umsetzen. „Ich glaube, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine eine Zeitenwende ist“, positionierte sich der Ex-Ministerpräsident eindeutig, da damit viele nach 1945 erarbeitete und weltweit beschlossene Vorstellungen und Bestimmungen gebrochen wurden. „Das UNO-System wird zerschlagen. Kann man es wiederherstellen?“, fragte er. Rückläufig sei zudem das Wachstum, „jetzt geht es um die Umverteilung der Kosten. Die soziale Gerechtigkeit sehe ich als Schlüssel der Zusammenarbeit“, brachte Špidla einen weiteren Gedanken ein. Darüber hinaus sprach er von der „heutigen Krise der Legitimität demokratischer Institutionen“, viele Menschen würden sich nicht mehr repräsentiert fühlen. „Die Legitimität muss in einem langwierigen demokratischen Prozess wachsen. Dafür müssen wir eine breite Struktur von Vermittlern schaffen, die für uns von Bedeutung sind“, betonte der frühere Ministerpräsident. Die Legitimität sei mit den Werten zu kombinieren.

Auch in Polen, wo er nun seit 20 Jahren beruflich tätig ist, sieht Kretschmann eine „sehr mannigfaltige Gesellschaft“ mit unterschiedlichem politischem Interesse. In bestimmten Kreisen schüren dort die nun höheren Militärausgaben in Deutschland, die Zunahme der AfD und natürlich das Agieren Putins Ängste. Bildungs- und Begegnungsarbeit sowie partizipative Ansätze könnten dem entgegenwirken, in keinster Weise eine „Politik der starken Hand“, die bisweilen in bestimmten Kreisen gefordert wird. Dazu gehöre auch zu vermitteln, „dass wir uns sicher fühlen können“, so Kretschmann.

Von „zu wenig Diskussion in der Gesellschaft“ sprach Hartinger, ebenso vom Scheitern „unserer Friedensarbeit – das Militärische muss wieder eine größere Rolle spielen“. Für ihn ist die Gesellschaft besonders mit der Dauer der Umwälzungen (z.B. Digitalisierung, Bürokratie) überfordert. Er plädierte daher bei Diskussionen auf Gesichtswahrung zu achten, „machen und umsetzen“ sowie mehr Verantwortung zu übernehmen. Ebenso mahnte er da und dort auch mal Verzicht an sowie die Stärkung der Kommunen, da man auf dieser Ebene Demokratie erleben und etwas verändern kann. Wichtig ist für Hartinger auch Glaubwürdigkeit und das Aushalten komplexer Wahrheiten.

„Die vielen Transformationsprozesse führen in ihrer Kumulation zur Überforderung. Die Komplexität wird zwar wahrgenommen, man kann es oft aber nicht umsetzen“, lautete die These von Prof. Schwartz. Von den Menschen gewünschte einfache Lösungen in vielen Bereichen seien unmöglich. „Zum ersten Mal spüren Menschen, dass die Veränderungen unseren Wohlstand einschränken werden. Wir werden sehr viel weniger haben und sehr viel mehr arbeiten müssen. Das ist etwas, was wehtut“, nannte der Renovabis-Leiter einige Herausforderungen. Der Weg hin zu einer neuen Solidarität könne dabei helfen, auch – innerkirchlich – der Synodalitätsprozess. Grundsätzlich sei es wichtig, Dissensen auszuhalten und gegenseitig auszusprechen. „Kleine Schritte, um zu einer Zeitenwende im Großen zu kommen“, fasste Schwartz zusammen – oder anders ausgedrückt: „Es geht mir gut, wenn wir den anderen an der Seite haben!“

Matěj Spurný und Albert-Peter Rethmann sprachen zum Tagungsende die Schlussworte. Spurný sah eine „Art Labor, wo wir das alles lernen“ – den Dialog, gegenseitiges Zuhören usw. Dazu sei Geduld nötig. „Nicht alles kann gelöst und beantwortet werden. Aber es gibt Ideen und Anregungen“, meinte der Vorsitzende der Bernard-Bolzano-Gesellschaft. „Geduld baut auf einer stabilen Beziehung auf. Es geht darum aus der eigenen Blase herauszukommen – hinein in die Auseinandersetzung. Miteinander mehr haben als es der Einzelne haben konnte“, ergänzte  der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde.

Markus Bauer

„Eine Brutstätte für viele Anregungen“

Nachdenkliche Worte zum Krieg in der Ukraine und Anerkennung für das Symposium

Der hohe Zuspruch für das Brünner Symposium drückt sich jedes Jahr auch in den Grußbotschaften hochrangiger Politiker und Diplomaten aus mehreren Ländern aus. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Brünn Dr. Markéta Vaňková konnte diesmal nicht persönlich anwesend sein und übermittelte per Video ihre Grüße. Darin schloss sie auch den Südmährischen Landeshauptmann Jan Grolich ein. Die Stadt Brünn und die Südmährische Region unterstützen seit vielen Jahren das Symposium.

Dieses gehöre inzwischen zu den festen Terminen im Jahreslauf, würdigte Petra Dachtler, die Gesandte der Deutschen Botschaft in Prag, die Tagung, die auch auf weitere Länder ausstrahle. Angesichts des Krieges in der Ukraine verwies sie auf „sehr sensible Stimmen vor allem aus dem Baltikum“, grundsätzlich aber darauf, dass Ostmitteleuropa inzwischen ein Teil des Westens und dieser Wertegemeinschaft sei. „Das streben auch weitere Völker an“, stellte sie mit Blick auf die Ukraine und die Republik Moldau fest. Dafür müsse die Europäische Union aber handlungsfähig sein und sich in ihrer Struktur ändern. Kritik übte sie an der „inszenierten Wiederwahl“ Putins. Im Hinblick auf einen Frieden in der Ukraine meinte die Gesandte: „Nur ein Friede mit der territorialen Wiederherstellung der Ukraine wird ein gerechter Friede sein.“

„Tschechien gehört zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine. Auch Österreich unterstützt politisch und humanitär – wegen der Neutralität aber nicht militärisch“, erklärte Dr. Bettina Kirnbauer, die Botschafterin der Republik Österreich in Tschechien. Ihr Augenmerk richtete sie auf die Hackerangriffe, Desinformation, Lügen und Propaganda seitens Russland in vielen europäischen Ländern. „Die Untergrabung der Demokratie“ sei damit beabsichtigt, die Hauptherausforderung für die Länder und Staaten sei, sich nicht spalten zu lassen und die Ukraine weiter zu unterstützen – für ein gemeinsames Europa, die gemeinsame Werteordnung sowie für Stabilität und Sicherheit in Europa.

„Die früher strittigen Themen beeinflussen nicht mehr“, meinte Dr. Jiří Šitler, Botschafter der Tschechischen Republik in Österreich, gleichermaßen zur Beziehung Tschechiens mit Österreich und Deutschland. Dazu beigetragen hätten – neben zwischenstaatlichen Erklärungen – der Generationswechsel sowie äußere Einflüsse wie nun der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Die Bernard-Bolzano-Gesellschaft und die Ackermann-Gemeinde haben viel bewirkt, die Argumente haben überwogen“, zollte er den Trägern des Symposiums Anerkennung. „Das Symposium ist eine Brutstätte für Anregungen zwischen Deutschland, Österreich und Tschechien“.

Markus Bauer

Die drei Erstplatzierten des Europäischen Essaywettbewerbs wurden gekürt

Seit weit mehr als zehn Jahren loben die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Gesellschaft im Kontext des Brünner Symposiums den Europäischen Essaywettbewerb für Studierende aus. Bei der diesjährigen 13. Auflage lautete das Thema „Ist der Westen noch zu retten?“. Die drei Erstplatzierten wurden im Rahmen des Symposiums gekürt, und sie trugen ihre Texte bzw. Passagen daraus auch vor.

Teilnehmen am Wettbewerb können Studentinnen und Studenten sowie Doktoranden aus Deutschland, Österreich, Tschechien, der Slowakei, Polen und Ungarn. Die Jury besteht aus Repräsentanten deutscher und tschechischer Institutionen unter dem Vorsitz von Dr. Albert-Peter Rethmann und Dr. Matěj Spurný sowie dem Begründer des Wettbewerbs, Martin Kastler, MdEP a.D.

Dr. Oliver Herbst, ebenfalls Jury-Mitglied, Journalist aus Ansbach und Moderator der Preisverleihung, betonte in seinen einleitenden Worten, dass besonders die Perspektiven der jungen Menschen sich in den Essays ausdrücken sollten, denn „diese sind interessant und belebend für die Debatte“. Insgesamt 18 Beiträge wurden eingereicht, als inhaltliche Klammer kristallisierten sich unter anderem die Aspekte Wohlstand, Freiheit, Demokratie wie auch die Fragilität und Krisenanfälligkeit bzw. Verwundbarkeit der westlichen Systeme heraus. Herbst wies aber auch auf den „Optimismus, der in den Essays deutlich wird“ hin und auf darin beschriebene „Kompromisse, um sich selbst reformieren zu können“.

Der mit 200 Euro dotierte dritte Platz ging an Barbora Šindelářová (23), die an der Prager Karls-Universität Allgemeinmedizin studiert. In ihrem Essay plädiert sie dafür, dass der Westen Fehler aus der Geschichte und Versagen eingestehen und sich immer wieder erneuern solle. Der Westen stehe nicht nur für eine bestimmte Identität und Werte, sondern auch für Partizipation und Teilhabe. Dadurch sei es möglich, an der Gestaltung der Zukunft mitzuarbeiten und neue Lösungen zu finden. Wichtig sei, sich in politische, soziale oder auch Umweltprozesse einzubringen und sich selbst und auch den Anderen wertzuschätzen – insgesamt gemeinsam das Gemeinwohl zu fördern, „die Menschlichkeit mit anderen teilen“. Im Gespräch mit ihrem Wettbewerbspaten Martin Kastler verriet sie, dass sie ein Mitglied der jungen Sozialdemokraten auf den Wettbewerb aufmerksam gemacht habe. „Ich fühle mich als Europäerin – und aktuell heute dem Westen, Liberalismus und der Meinungspluralität verbunden. Man muss immer das Für und Wider der unterschiedlichen Meinungen aufzeigen“, fasste Šindelářová zusammen. Bedauernd stellte sie fest, dass der Extremismus in den letzten Jahren zugenommen hat. „Ich hoffe, dass die junge Generation dagegen agieren kann, damit die extremen Positionen nicht zur Norm werden.“

Den mit 300 Euro ausgelobten zweiten Platz errang Patrick Kittler (25), der an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Deutsch, Englisch und Philosophie für das Lehramt am Gymnasium studiert. In seinem umfangreichen Essay greift er Zitate aus Büchern etwa von Erich Kästner oder Sebastian Haffner auf und damit auch bestimmte historische Kontexte. Vergleiche und Parallelen zur Gegenwart sieht Kittler aber nicht unbedingt. Sein Wettbewerbspate Matěj Spurný sprach von einem „kritischen und komplexen Essay“. „Es gibt einen Widerstand gegen Extremismus“, stellte der Zweitplatzierte auch mit Blick auf die jüngsten Demonstrationen fest. Zwei Faktoren seien in der Auseinandersetzung mit Extremismus wichtig: auf der einen Seite die Selbstverteidigung, sozusagen das Retten der eigenen Haut. Auf der anderen Seite die Schaffung vorbildlicher Strukturen – konkret von Werten. Dazu gehörten auch die Selbstreflexion und politisches Handeln.

Sieger des Wettbewerbs wurde Alexander Ihle (24), der an der Technischen Universität Chemnitz Politikwissenschaft studiert und 500 Euro für den ersten Platz erhielt. „Ein sehr persönlicher Text mit dem Titel ‚Von ihr zu uns‘“ erläuterte Wettbewerbspate Albert-Peter Rethmann. Darin geht es besonders um die Werte und – damit verbunden – um Stärkung und Schutz der Demokratie unter anderem durch Bildung und kulturelle Verknüpfungen. Aber auch erkämpfte Werte im Blick auf benachteiligte Gruppen spricht Ihle ebenso an wie die Bedrohung von Werten und die Herausforderungen für die junge Generation. „Wir kommen aus einer behüteten Gesellschaft. Bei Bedrohung müssen wir von selbst die Kraft haben für den Kampf um die Werte. Es ist für uns an der Zeit, für die Werte einzustehen. Wir haben die Chance, Veränderungen voranzutreiben. Wir können kommunizieren und in verschiedenen Sprachen andere Perspektiven kennenlernen“, so der Wettbewerbssieger. Als Basis dafür nannte er die Gemeinschaft und Kommunikation mit anderen, daraus erwachsene Erfahrungen und den Dialog.

Die jeweiligen Paten überreichten die Urkunden, die drei Siegeressays können demnächst auf der Homepage der Ackermann-Gemeinde nachgelesen werden.

Markus Bauer

 

Die prämiierten Beiträge zum Download:

1. Platz - Alexander Ihle Deutsch

2. Platz - Patrick Kittler Deutsch

3. Platz Barbora Šindelařová Tschechisch | Deutsche Übersetzung

„Fragmente der Erinnerung“ und andere Ausstellungen

Prof. Dr. Jiří Fajt berichtete über einige seiner Projekte der Gegenwart und Vergangenheit

Zum Brünner Symposium gehören auch kulturelle Inhalte in Form von Gesprächen und Führungen. Neben dem im Bericht gewürdigten Gespräch standen drei weitere Angebote zur Auswahl: die Vorführung des Films „Die vertriebenen Kinder“ und ein Gespräch darüber mit dem Prager Dokumentaristen Jan Blažek. Eine kommentierte Führung „Kulturelle Brücken in Europa. Adel aus Böhmen und Mähren nach 1945“ mit der Geschäftsführerin des Adalbert Stifter Vereins Dr. Zuzana Jürgens und ein Gespräch mit Dr. Mojmír Jeřábek über das Wirken und Leben des tschechisch-französischen Literaten Milan Kundera.

Erwähnt sei einleitend, dass das letztgenannte Thema erneut beim Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde Anfang April im Mittelpunkt stand, darüber also an anderer Stelle berichtet wird. Hier geht es nun um das Gespräch mit Prof. Dr. Jiří Fajt, dem Leiter für internationale Angelegenheiten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, zum Thema „Europa als Ort der Vielfalt“. Moderiert vom Journalisten, Diplomaten und Übersetzer Jan Šícha kamen mehrere Ausstellungsprojekte zur Sprache. Zunächst die erst eine Woche zuvor in Dresden eröffnete Ausstellung „Fragmente der Erinnerung“ in Anwesenheit des tschechischen Präsidenten Petr Pavel und des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, die noch bis zum 8. September zu sehen ist – die Ackermann-Gemeinde ist hier übrigens Mitveranstalter. „Es ist nicht nur eine Ausstellung von Exponaten aus der Schatzkammer des Prager Veitsdoms, sondern ein Dialog mit modernen lebenden Künstlern und Religionen“, erklärte Fajt. Die Schatzkammer-Objekte stünden für den Aspekt „Gedächtnis- und Erinnerungskultur“, dazu korrespondieren quasi in einem Dialog die zeitgenössischen Werke von Edmund de Waal (Installationen zu verschiedenen Themen, darunter jüdische Familiengeschichte), Josef Koudelka (Fotos vom Heiligen Land) und Julian Rosefeld (fiktive und reale Historien, Anthropozentrismus). In einzelnen Werken finden sich also Aspekte der drei großen monotheistischen Religionen. „Es wird ein Raum geschaffen, um zum Überlegen und Nachdenken anzuregen. Der Domschatz wird hier in einer Art und Weise ausgestellt, wie er in Prag nie zu sehen war“, erläuterte Fajt. In die Ausstellungsarchitektur ist auch eine Bibliothek einbezogen – Bücher als weiteres Element der Erinnerung. Die Bücher stammen größtenteils vom Historiker Franz Machilek, der am 9. Januar in Auspitz/Hustopeče geboren wurde und am 5. April 2021 in Erlangen verstarb.

Auch über Unternehmungen der Nationalgalerie Prag, an der Fajt von 2014 bis 2019 Generaldirektor war, berichtete er. So nannte er etwa aus dem Jahr 2017 eine Ausstellung zum Thema „Flüchtlingskrise“ und verwies in diesem Zusammenhang auf den politischen Charakter von Kunst. Dem Thema „Alle Macht der Imagination. Tschechische Saison in Dresden“ widmeten sich 2022, dem Jahr der Tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Zwischen 72.000 und 92.000 Besucher konnte die Ausstellung zählen, bei der mehrere Kunst- und Kulturstile vertreten waren. Auch diese hatte durchaus eine politische Dimension.

Markus Bauer

Palmsonntag-Gottesdienst mit Prof. Dr. Thomas Schwartz in der Jesuitenkirche

In der Kirche Mariä Himmelfahrt („Jesuitenkirche“) fand der traditionelle deutsch-tschechische Gottesdienst statt – dem Zeitpunkt entsprechend mit der Liturgie des Palmsonntags. Hauptzelebrant war Renovabis-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Thomas Schwartz, unterstützt von Pater Jan Pacner und Diakon Irenäus Müller. Für die musikalische Umrahmung sorgte Ondřej Múčka, der mit drei weiteren Männern die Passion nach dem Markus-Evangelium sang.

Aufgrund der momentanen Renovierung der Jakobskirche wich man auf das Gotteshaus „Mariä Himmelfahrt“ aus. „Eine ‚renovatio ecclesiae“ ist in ganz Europa notwendig“, meinte Pater Pacner in seiner Begrüßung – auch mit Blick auf den Hauptzelebranten und dessen Funktion beim bekannten kirchlichen Hilfswerk.

Der Palmsonntag und die an diesem Tag vorgetragenen Schrifttexte würden, so Schwartz, die „Ouvertüre zu den dramatischen Geschehnissen der Heiligen Woche“ bilden. Detailliert ging er auf den nur an diesem Tag gelesenen Abschnitt aus dem Philipper-Brief ein, in dem der Kreuzestod Jesu und seine Erhöhung über alle genannt sind. „Dieser Hymnus gibt Antworten auf die auch heute noch bewegenden Fragen: Wer war Jesus? Was hat es mit seinem Leiden auf sich? Was bedeutet Jesus heute für uns?“, erläuterte Schwartz und gab die Antwort: „Jesus war Gott gleich, er war wie Gott, wurde ein Mensch wie wir. Er wurde gekreuzigt und ist vom Tod auferstanden. Der Tod und die Verherrlichung Jesu an der Seite seines Vaters gehören zusammen, lassen sich nicht trennen. Sein Tod ist auch unser Geschick, seine Auferstehung ist unsere Hoffnung.“ Der Geistliche verwies auf viele Kreuzeserfahrungen – sei es im persönlichen Leben oder in der Gesellschaft und Welt. „Manche machten Kreuzeserfahrungen in Flucht und Vertreibung, was zu Verbitterung und Zerbrechen oder auch zu neuer Hoffnung führte.“ In diesem Kontext erwähnte er die weit über 70 Jahre währende fruchtbare Arbeit der Ackermann-Gemeinde. „Gott schenkt gegen alle Erwartung neues Leben und Hoffnung. Selbst im Kreuz kann Gott Zukunft geben. Gott hat aus dem Hilferuf ‚Hosanna‘ den Jubelruf ‚Halleluja‘ kreiert“, schloss Prof. Schwartz seine Ansprache.

Die erste Lesung wurde in deutscher, die zweite in tschechischer Sprache vorgetragen, die Fürbitten im Wechsel. Ein besonderes Highlight war die von vier Männerstimmen in tschechischer Sprache vorgetragene Leidensgeschichte des Evangelisten Markus, geleitet vom Kirchenmusiker Ondřej Múčka.

Markus Bauer

Im Palais Dietrichstein fand am Samstagabend der feierliche Empfang für die Teilnehmer des Symposiums statt. Der  Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Dr. Albert-Peter Rethmann lud neben dem vielfältigen Essen und Trinken zu zwangloser Kommunikation ein – entsprechend der in den Podiumsdiskussionen mehrmals gemachten Äußerung, von den eigenen Gesprächsblasen wegzukommen hin zu mannigfaltigen Meinungen. Der Vorsitzende der Bernard-Bolzano-Gesellschaft Dr. Matěj Spurný erinnerte an den am 2. Februar verstorbenen Diplomaten František Černý („einer der liebenswürdigsten Menschen“), der in der Vergangenheit oft als Podiumsteilnehmer oder Gast am Brünner Symposium teilgenommen hat.

Markus Bauer

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Das XXXII. Brünner Symposium fand statt unter der Schirmherrschaft von Dr. Markéta Vaňková, Primatorin der Stadt Brünn, und Jan Grolich, Hauptmann des Südmährischen Kreises.

Organisatoren:

Wir danken herzlich unseren Partnern und Förderern:

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