Václav Havels Satz und Auftrag „Europa als Aufgabe“ neu überdenken

Die neue tschechische Generalkonsulin Dr. Ivana Červenková beim Ackermann-Zoom

Der Nikolaus hatte seinen Dienst wohl schon beendet. Denn am Abend seines Gedenktags waren 62 Computer zum monatlichen Zoom der Ackermann-Gemeinde zugeschaltet. Vielleicht lag es aber auch an der Referentin Dr. Ivana Červenková, der seit 1. April wirkenden Generalkonsulin der Tschechischen Republik in München, die vor allem über die vom 1. Juli 2022 bis zum Jahresende gehende tschechische EU-Ratspräsidentschaft sprach.

 

Die aus Budweis stammende Diplomatin stellte Moderator Rainer Karlitschek zu Beginn des Zooms kurz vor: sie ist seit 1992 im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Tschechischen Republik tätig, unter anderem mit Stationen in Bonn (an der Seite von Botschafter Jiří Gruša), Bern und Wien. Über all diese Stationen hat die ausgewiesene Juristin das Thema Völkerrecht immer wieder begleitet. Beim Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft erinnerte Karlitschek an die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz an der Prager Karls-Universität Ende August und an das aus der bekannten Rede Václav Havels bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises 1996 in Aachen stammende Motto der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft „Europa als Aufgabe“.

Ergänzend zu Karlitscheks Informationen erklärte Červenková, dass sie an der Deutsch-Tschechischen Erklärung und der Erarbeitung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds bzw. weiterer bilateraler Abkommen beteiligt war. Die jetzige Tätigkeitsregion komme ihr sehr entgegen, da sie gerne ihre Familie in Budweis besucht. „Ich habe mich inzwischen gut eingearbeitet“, bekannte sie und verwies auf gegenseitige Besuche tschechischer und bayerischer Minister sowie auf das Treffen des Bayerischen Ministerpräsident Dr. Markus Söder mit Tschechiens Premierminister Petr Fiala im Juli. „Es bestehen gute tschechisch-bayerische Beziehungen“, verdeutlichte die Generalkonsulin. Das machte sie auch an den vielen grenzüberschreitenden Aktivitäten in Oberfranken, der Oberpfalz und Niederbayern deutlich. „Ich reise viel durch die Regierungsbezirke und rede viel mit den Landräten und Regierungspräsidenten“, fasste sie ihre einleitenden Worte zusammen.

Das Motto „Europa als Aufgabe“ sei für den Jahresbeginn 2022 konzipiert worden, machte Červenková deutlich. Es sollte dazu ermuntern, die Herausforderungen für Europa neu zu überdenken. Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine gebe es nun gänzlich andere Gegebenheiten: Bewältigung der Flüchtlingskrise, Wiederaufbau der Ukraine, europäische Verteidigungssicherheit, Energiesicherheit, strategische Widerstandsfähigkeit sowohl der europäischen Wirtschaft alsauch der demokratischen Institutionen. „Europa steht vor neuen Aufgaben. Das Ziel ist, Europa zu stärken und robust zu machen sowie die humanitäre und wirtschaftliche Krise zu bewältigen“, verdeutlichte die Diplomatin.

Humanitäre Hilfe beziehe sich aktuell vor allem auf die Ukraine. Červenková nannte Daten aus ihrem Land (400.000 Ukrainer wurden aufgenommen), sie verwies auf die „ähnliche Mentalität“ von Tschechen und Ukrainern. Außerdem hätten viele Ukrainer Verwandte in Tschechien, weshalb sie hierher kommen. Als weitere Aufgabe sieht sie die militärische Unterstützung der Ukraine – durch Geld, Waffenlieferungen und Ausbildung ukrainischer Soldaten in der EU, vor allem in Deutschland und Tschechien. Beim Wiederaufbau der Ukraine gehe es neben den nötigen Finanzmitteln vor allem darum, dass die Ukraine ein freies und prosperierendes Land wird. Eine gemeinsame Lösung aller EU-Staaten sei, so die Generalkonsulin, vor allem im Bereich der Energie (Erdgas, Strom usw.) zu finden. Die Reduzierung des Gasverbrauches und gemeinsame Gaseinkäufe habe Tschechien in der Eigenschaft als EU-Ratspräsident angeregt, allerdings hätten einige Staaten dann eigene Maßnahmen auf den Weg gebracht. Da Tschechien zu 97 Prozent vom russischen Gas abhängig ist, sei der tschechische Staat hier besonders gefordert. Schließlich müsse die europäische Verteidigungskapazität gestärkt, die Ukraine gemeinsam militärisch unterstützt werden.

Weitere für die EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens wichtige Themen seien angesichts der aktuellen Entwicklungen in den Hintergrund gerückt. So die EU-Beitrittsperspektiven für die Länder auf dem Balkan. Červenková verwies in diesem Zusammenhang auf die erste Tagung der Europäischen Politischen Gemeinschaft (44 Länder) am 6. Oktober in Prag und auf die erstmals seit zehn Jahren wieder stattgefundene Sitzung zwischen der EU und Israel. „Wir waren viel mit den großen Themen befasst. Tschechien hat die EU-Ratspräsidentschaft mit Würde und großem Engagement ausgeübt“, lautete die vorläufige Bilanz der Generalkonsulin. Ab 1. Januar wird Schweden diese Funktion für ein halbes Jahr innehaben.

In der anschließenden Diskussions- und Fragerunde sprach Moderator Karlitschek die Besonderheit einer EU-Ratspräsidentschaft an. „Es war anders als beim ersten Mal. Nach dem Lissabon-Vertrag gibt es nun etwas andere Strukturen“, beschrieb Červenková. Dazu gehören unter anderem Veranstaltungen im jeweiligen Land selbst. Prof. Dr. Burkard Steppacher von der Konrad-Adenauer-Stiftung fragte nach dem Machtverhältnis zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat. Derzeit gebe es wegen der aktuellen Gegebenheiten keine Gedanken über Neustrukturierungen in der EU, antwortete die Generalkonsulin dazu. Die manchmal „etwas wacklige Einigkeit“ der europäischen Staaten deutete Prof. Dr. Bernhard Dick in seinem Beitrag an, konkret Versuche von Staatschefs, für ihre Stimme einen Deal herauszuholen, oder das Vorpreschen von Bundeskanzler Scholz bei der Gaspreisbremse. Eine Aufgabe der EU-Ratspräsidentschaft sei auch, Kompromisse zu finden, erwiderte Červenková. Aktuell sei das Embargo auf russisches Öl ein „großer Test für Europa. Bis jetzt haben wir immer Lösungen auf EU-Ebene gefunden“, so die Diplomatin. Aktuell macht ihr besonders die Flüchtlingswelle aus der Türkei Sorgen, weshalb Grenzkontrollen seitens der Slowakei und Gespräche mit Serbien vereinbart wurden.

Abschließend fragte Rainer Karlitschek die Generalkonsulin, was von der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft bleiben soll. Červenková blickte auf die Corona-Krise zurück, in der Europa einige Zeit etwas zersplittert gewesen sei. „Jedes Land spielte für sich selbst“, konkretisierte sie die damalige Situation. Daher sei heute umso mehr der Einsatz für die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft wichtig, d.h. die Abhängigkeit von China und anderen Ländern zu minimieren. „Das Thema von Václav Havel kommt auf den Tisch, man muss es neu überdenken“, fasste sie zusammen und nannte neben den bekannten aktuellen Themen unter anderen den Klimawandel und den Umgang mit Fake News.

Markus Bauer

Eine Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Themenzoom.
Generalkonsulin Dr. Ivana Červenková bei ihrem Vortrag.
Moderator Rainer Karlitschek bei der Begrüßung und Einführung.
Einer der Diskutanten: Prof. Dr. Burkard Steppacher von der Konrad-Adenauer-Stiftung.