Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde über die Dissidentin Hana Jüptnerová

Ein besonderes Frauenporträt stand am Vorabend des Weltfrauentages beim Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde im Mittelpunkt, zu dem 56 PCs zugeschaltet waren. Die in Eislingen (Baden-Württemberg) beheimatete Dichterin und Schriftstellerin (seit 1983) sowie Herausgeberin und Initiatorin literarischer Projekte Tina Stroheker las Passagen aus ihrem Buch „Hana oder Das böhmische Geschenk“. Darin geht es um die im Jahr 2019 mit 67 Jahren verstorbene Hana Jüptnerová aus Vrchlabí (Hohenelbe), eine in Tschechien hoch geachtete Dissidentin, Deutschlehrerin, engagierte Christin und Brückenbauerin zwischen Deutschen und Tschechen.

„Hana war ein wirkliches Geschenk“

 

Daten und Fakten zur Referentin des Kulturzooms lieferte einleitend Moderatorin Sandra Uhlich. Die Verständigung mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa sei ein zentrales Anliegen der Schriftstellerin. So war Stroheker unter anderem Gastschreiberin in Lodz in Polen und wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet – unter anderem 2017 mit dem Andreas-Gryphius-Preis und 2022 mit dem Heinrich-Schickhardt-Kulturpreis der Stadt Göppingen. Das Buch „Hana oder Das böhmische Geschenk“ bezeichnete Uhlich als „poetisches Porträt einer stillen Heldin“. Stroheker hat Jüptnerová im Jahr 2015 kennengelernt und bis zu deren Krebstod vier Jahre später begleitet. „Hana Jüptnerová hat auch im Kommunismus nie ihre Werte aufgegeben“, leitete die Moderatorin zu den Ausführungen der Autorin über.

„Ohne die Fotos wäre das Buch nicht entstanden“, bekannte Stroheker. Die Bilder stammten sowohl von ihr als auch von Hana Jüptnerová selbst und bildeten schließlich die Aufmacher für die einzelnen Kapitel. Angeregt zum Buchprojekt wurde Stroheker von einer kleinen Ausstellung mit Bildern nach Jüptnerovás Beerdigung. Im Corona-Lockdown 2020 konkretisierte sich das Vorhaben. „Das Buch ist im Prinzip chronologisch aufgebaut von der kleinen Hana bis zum Tod, aber vom Wissen durchdrungen, dass Hana nicht mehr lebt“, erläuterte die Schriftstellerin.

Im ersten Themenkomplex widmete sich Stroheker der Heimat Hanas und ihrer Aktivität als Dissidentin. Vrchlabí bzw. Hohenelbe wird als „eine Stadt mit verschwiegener Vergangenheit“ beschrieben, kurze Informationen gibt es – zum Kinderfoto „Mädelchen“ - zur Familie und zum Studium in Brünn. Im Bild „Gebunden“ ist Hana Jüptnerová bereits als junge alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen zu sehen. Ihr Mann, ein Deutscher, dessen Familie das Land nicht verlassen durfte, hatte sie zu dem Zeitpunkt bereits verlassen. Die Mühen des Alltags in der kommunistischen Tschechoslowakei, die Schatten der Staatssicherheit werden deutlich. „Nur die Kinder haben sie gebunden“, kommentierte Stroheker die Abbildung. Im Bild „Laut sprechen“ ist der Trauerzug bei der Beerdigung des aus ihrer Heimatstadt stammenden Dissidenten Pavel Wonka zu sehen, der am 26. April 1988 in der Haft starb. Besonders die Tatsache, dass Jüptnerová stark unter Beobachtung stand, betonte die Autorin. „Festtag“ lautet dagegen das Bild, das Hana Jüptnerová mit Staatspräsident Václav Havel zeigt – nach der Samtenen Revolution bei einem Redeauftritt Havels in Trautenau/Trutnov im Januar 1990. „Eine strahlende junge Frau, es gab nur Freude“, kommentierte Stroheker diese Aufnahme und verwies zugleich auf Veränderungen im Privatleben Jüptnerovás. Sie wandte sich verstärkt der Familie, dem Glauben sowie der Versöhnung von Deutschen und Tschechen zu. Mit dem Bild „Licht“ (Blick auf eine renovierte Kirche im Riesengebirge) beschrieb die Autorin die Bereitschaft Hana Jüptnerovás, „sich von etwas Größerem ergreifen zu lassen“.

Den zweiten großen Themenkomplex umschrieb die Schriftstellerin mit „Abenteuer“, was für Hana Jüptnerová vor allem die Vergrößerung der Familie mit drei Pflegekindern war. Diese Aufgabe war mit damals 45 Jahren natürlich überaus fordernd, anstrengend und ermüdend – sehr deutlich im Foto „Küchenchefin“ zu erkennen.

Schließlich nahm die deutsch-tschechische Versöhnung einen immer größeren Stellenwert in ihrem Leben ein – der dritte große Themenbereich, auch vor dem Hintergrund und der Geschichte ihrer Heimatstadt. „Kde domov můj?“ („Wo ist meine Heimat?“), der Satz aus der Nationalhymne von Tschechien, steht unter einem Bild Richtung Riesengebirge. Und Tina Stroheker lässt ihre Freundin Hana Jüptnerová auch über die Deutschen meditieren. Konkret wird dies exemplarisch an dem Bild „Und alles war einst Hackelsdorf“. Jüptnerová betätigte sich nun unter anderem als Dolmetscherin und Organisatorin von Reisen usw., sie unterstützte Renovierungen von Gebäuden und positionierte sich eindeutig zur Vertreibung der Deutschen. „Ich spreche nicht von der deutschen Schuld, auf mir liegt die Schuld meines Volkes“, zitierte Stroheker ihre Freundin.

Der letzte Themenkomplex widmete sich dem „Leben und Sterben“. Zunächst noch einige Fotos aus dem Alltagsleben: „In die Hagebutten“ – Pflücken und Aufbereiten von Nüssen, Früchten usw. „Erster Advent“ – die erste Adventskranzkerze humorvoll in Form der Flammen eines der vier Platten des Gasherds. Oder die Teilnahme an der LGBT-Pride-Parade in Prag im Jahr 2018, wo sie sich im Nachklang für die Ehe für alle einsetzte. Im Januar 2019 dann die Diagnose einer aggressiven Krebserkrankung, an der sie am 7. Oktober 2019 istarb. Auch diese Monate des Leidens finden sich mit mehreren Bildern und Gedanken dazu in Strohekers Buch.

Moderatorin Uhlich würdigte zusammenfassend Hana Jüptnerová als Vorbild sowie als Ideen- und Ratgeberin. „Hana war ein wirkliches Geschenk“, fasste Autorin Stroheker zusammen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Markus Bauer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hana Jüptnerová im Januar 1990 mit Staatspräsident Václav Havel.
Schriftstellerin Tina Stroheker bei ihrem Vortrag.
Moderatorin Sandra Uhlich zeigt das von Tina Stroheker verfasste Buch.
Schriftstellerin Tina Stroheker und Hana Jüptnerová im Jahr 2019.
Die Kulturarbeit der Ackermann-Gemeinde im Institutum Bohemicum wird gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales.