Den Schwejk-Autor und Gründer der ersten Spaßpartei Europas gewürdigt

Literarische Totenfeier für Jaroslav Hašek beim Kultur-Zoom der Ackermann-Gemeinde

Großes Interesse – über 60 Frauen und Männer an den Bildschirmen – weckte am Abend des ersten Dienstags im Februar die monatliche Zoom-Veranstaltung der Ackermann-Gemeinde. Unter dem Titel „Melde gehorsamst, ich kann nix dafür“ war der Kultur-Zoom diesmal Jaroslav Hašek gewidmet, der vor 100 Jahren gestorben ist. Der Regensburger Literaturwissenschaftler und Vorleser Arthur Schnabl erzählte und las von einem Schriftsteller, der selbst eine literarische Erfindung sein könnte.

Den vielseitig aktiven Referenten des Zooms, Arthur Schnabl, stellte Moderatorin Sandra Uhlich vor: Literaturwissenschaftler, Germanist, Historiker, Reisejournalist, Vermittler von tschechischer, österreichischer und italienischer Literatur, Reiseleiter, Herausgeber von Hörbüchern und Literaturführern, Vorleser und Rezitator – kurzum die richtige Person, um  Hašek und dessen literarisches Werk entsprechend zu würdigen. Auch gemäß Schnabls Leitspruch: „Dichter sind immer noch die besten Botschafter eines Landstrichs und einer Epoche“. Hinsichtlich des Reisens nannte Uhlich noch weitere „Titel“ Schnabls: „Reise-Ersinner und Reise-Besinner, Reise-Luftschiffer und Reise-Magier“.

„Melde gehorsamst, Herr Oberleitnant, ich bin wieder da!“ Mit diesem bestens bekannten Ausspruch des braven Soldaten Schwejk begrüßte Arthur Schnabl die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Zooms. Er freute sich über den erneuten Kontakt zur Ackermann-Gemeinde, zumal er beim Literarischen Café der Ackermann-Gemeinde im Bistum Regensburg bereits Referent war. Mit Blick auf die ihm in der Begrüßung/Vorstellung zugewiesenen Attribute kam er sofort auf diejenigen von Jaroslav Hašek: Schriftsteller, Schauspieler, Comedian, Sprachtalent auf der einen (positiven) Seite – Herumtreiber, verantwortungsloses Subjekt, Bigamist, Säufer auf der anderen (negativen) Seite.

Schnabl begann seine Ausführungen mit der letztgenannten Eigenschaft. Zwar hatte es der sowjetische Kommunismus geschafft, dass Hašek vier Jahre lang nicht trank. Doch es sei „ein trauriger Beweis für die Dekadenz der Prager bürgerlichen Gesellschaft, dass sich  Hašek, nachdem er wieder in Prag war, in zweieinhalb Jahren zu Tode gesoffen hat“, so der Vortragende. Andererseits wäre aber „einer der tollsten und schönsten humoristischen Romane der Weltliteratur“ nicht entstanden – „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“. Wahrscheinlich habe es beide Erfahrungen gebraucht: Hašek Erlebnisse im Ersten Weltkrieg und die Inspirationen durch den Alkohol. Doch bereits vor 1914 war er in Prag als Autor zahlreicher (über 1500) humoristischer Feuilletons und Geschichten aktiv, viele aber nicht namentlich gekennzeichnet, worin sein satirisches Talent deutlich wurde. „Er war schon vor dem Ersten Weltkrieg in Prag ein ziemlich bekannter Humorist, Anarchist, ja eine ‚Stadtratte‘, der alle Kneipen, alle Schlupfwinkel kannte, überall wohnte“, beschrieb Schnabl Hašek in jener Epoche.

Ein zentraler Gegenstand in Hašeks Schaffen war die K.u.K-Monarchie, konkret die staatlichen Autoritäten – Militär, Polizei, Kirche. Aber auch Geschichten über Bürger sowie Spitzen gegen die bürgerliche Moral, die er ins Komisch-Lächerliche zog. Am Beispiel der vorgelesenen Hašek-Geschichte „Mein Abenteuer mit einem nackten Jungen“ erläuterte der Literaturwissenschaftler den Stil: „Grandios im Aufbau der Exposition. Sagenhaft, was ihm immer einfällt. Und am Ende merkt er: ‚Ich hab Durst, habe kein Geld mehr – jetzt aber schnell zu Ende bringen!‘“ Wie mit einem Beil hackt Hašek die Geschichte ab, was auch in vielen anderen Erzählungen so oder ähnlich geschieht.

Viele von Hašeks Erlebnissen bzw. Taten (oder auch Untaten) dienten als Basis für seine Erzählungen. „Eine der grandiosesten Fähigkeiten sind seine Stilparodien. Er konnte jeden Jargon sprechen“, vertiefte Schnabl. Exemplarisch nannte er den Artikel über die Entdeckung eines Flohs aus der Urzeit, worüber er als Redakteur der Zeitschrift „Die Welt der Tiere“ im Jahr 1910 berichtete. Es entpuppte sich schließlich als Ente, und Hašek war diesen Job los. „Es war eine meisterhafte Parodie auf den Wissenschaftsbetrieb“, fasste Schnabl diese Begebenheit zusammen, auf dies einige Zeitschriften und Einrichtungen hereingefallen waren. „Er konnte wie ein Pfarrer predigen, wie ein Wissenschaftler sprechen, analysieren. Er konnte wie ein Jurist argumentieren und wie ein Politiker polemisieren. Und jede dieser Professionen hat man ihm geglaubt“, beschrieb Schnabl. Er bezeichnete den Schriftsteller auch als einen der ersten öffentlichen Comedians – auch wegen der Gründung der „Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen der Gesetze“, der ersten Spaßpartei Europas. „Ohne Jaroslav Hašek gäbe es keinen Hape Kerkeling“, urteilte Schnabl – vor allem auf Basis der Erzählungen von Hašeks Freunden, da Texte oder Dokumente von ihm selbst aus diesem Segment leider nicht erhalten sind.

Das Attentat von Sarajevo am 28. Juli 1914 bedeutete den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und auch die Rekrutierung Hašeks zum Militär. Die Erfahrungen als Soldat wurden zum Muster für seine Romanfigur des Schwejk wie auch für viele Nebenfiguren. Bereits in der Szene, wo Schwejk quasi als Krüppel im Rollstuhl zur Musterung gefahren wird, deutet sich die Intention des Autors an: „Demontage der staatlichen Autoritäten durch übertriebene Loyalität und durch total überzogenen Gehorsam. Schwejk entwaffnet seine Feinde vielfach durch reine Torheit – oder vielleicht auch nicht?“, fragte Schnabl.

Im Roman gerät der Held, da er eine russische Uniform trägt, in österreichische Kriegsgefangenschaft. Hašek selbst begab sich, freiwillig, in russische Gefangenschaft, da er nicht für die österreichische Monarchie kämpfen oder gar sterben wollte. Er kam dort in die Wirren der gerade ausbrechenden sowjetischen Revolution. „Sein Anarchisten-Herz entdeckt die Liebe zum Kommunismus, und er bleibt. Er macht Karriere im sowjetischen militärischen Apparat“, schilderte der Referent diese Phase in Hašeks Vita. Da Hašek sprachbegabt war, kam er bis nach Sibirien und Zentralasien. Er war unter anderem verantwortlich für die Herausgabe militärischer Zeitschriften der Roten Armee und wurde sogar Stadtkommandant in Bugulma (in der heutigen zu Russland gehörenden Republik Tatarstan). Auch diese Episode hat Hašek verarbeitet - „beste und herrlichste Satire“, so Schnabl. Außerdem revidierte Hašek bereits damals seine Beziehung zum Kommunismus, da er die Unmenschlichkeit im kommunistischen System erkannte.

Im Jahr 1920 – nach vier Jahren – kehrte er in Begleitung einer Russin (trotz Ehefrau in Prag) aus der Sowjetunion nach Prag und in sein altes Leben zurück. Zur Finanzierung musste er wieder schreiben. Dabei erinnerte er sich an eine Figur, die er schon vor dem Krieg ein wenig ausprobiert hatte – einen Ur-Schwejk, eine trottelhafte, hölzerne Witzfigur, die man nicht für viel gebrauchen konnte. „Durch die Kriegserfahrungen und die Versuche, selbst am Leben zu bleiben, zu tarnen, zu täuschen, verpasste er diesem Schwejk ein intellektuelles Janus-Gesicht. Zwei Seiten, der behördlich anerkannte Idiot Josef Schwejk“.

Ist Schwejk nun ein Schlaumeier oder ein Idiot? Oder beides? Schnabl gab die Antwort: „Schwejk ist ein dummer Schlaumeier, der sich als raffinierter Idiot tarnt. Ein normaler Idiot könnte die Waffe, die der Schwejk gegen die ganzen verfolgenden Autoritäten benützt, überhaupt nicht handhaben. Denn die Waffe von Schwejk ist die Sprache. Er redet sich nicht nur aus allem heraus – das wäre die Methode von einem Schlaumeier. Nein – er entwaffnet sein Gegenüber regelrecht mit der Fülle dieser grotesken Geschichten.“ Zu umschreiben am besten mit „Logorrhoe“ (Sprechdurchfall).

Bisweilen wird Schwejk auch als „wiedergeborener, moderner Odysseus“ gesehen, der  von einer abenteuerlichen Kalamität in die andere getrieben wird und all diese Stationen unbeschadet übersteht. Schwejks Irrungen durch die vielen böhmischen Dörfer spiegeln die Wanderungen Hašeks wider, seinen Charakter eines unruhigen Herumtreibers. „Er hat es nie lange irgendwo ausgehalten, auch nicht bei seiner Frau und seinem Söhnchen“, schilderte Schnabl. Herumgezogen (Ausdruck der Flucht vor dem bürgerlichen Leben und vor den Kompromissen, die man dafür machen muss) ist Hašek auch innerhalb Europas: Von Ungarn in die Slowakei, von dort nach Bayern und wieder zurück nach Böhmen. „Er hat den bayerischen Gefängnissen, in denen er wegen Landstreicherei gelandet ist, aber die höchste Qualität ausgesprochen.“ In seiner Kurzgeschichte „Rechtspflege in Bayern“ ist dies beschrieben.

Die Schwejk-Geschichten sind nach und nach entstanden. Freunde Hašeks sorgten für den Abdruck in Heften und boten diese im Häuserverkauf an. Das war das erste verdiente Geld für den Autor nach dem Krieg. Josef Lada, Zeichner von Kater Mikesch, gestaltete die Titelblätter und schuf so das berühmte Schwejk-Erscheinungsbild, was sehr zum Erfolg beigetragen hat. „Aber in der damaligen Tschechoslowakei mochte kaum jemand den Schwejk. Er war eher ein Insidertyp für die unangepassten anarchischen Künstler. In den bürgerlichen Kreisen wollte man von dieser fragwürdigen Figur überhaupt nichts wissen: ein betrügerischer Hundehändler als Repräsentant des ruhmreichen tschechischen Volkes, das eben erst das habsburgische Joch abgeschüttelt hat?“ So beschrieb Schnabl das zeitgenössische Feedback auf Hašeks Romanfigur. Nun, nach dem Krieg, dem Niedergang der habsburgischen Monarchie und ein eigener Staat mit eigener Armee - da wollte man doch nicht der Volksgenosse eines solch dubiosen Antihelden sein. „Kritiker sahen Schwejk am liebsten dort, wo er entstanden war – in der Gosse. Hašeks Spott über den österreichischen Militarismus war zudem auch etwas zweifelhaft: denn man war sich nicht sicher, ob er nicht das Militär generell verhöhnte – also auch die neue, glorreiche tschechoslowakische Armee“, vertiefte Schnabl und stellte klar, dass Hašeks Schwejk bis 1989 beim tschechoslowakischen Militär wie auch in Büchereien verboten war.

Durch sein exzessive Leben waren Hašeks Herz und Leber massiv geschädigt – er starb am 3. Januar 1923 im Alter von 39 Jahren. Die Schwejk-Erzählungen blieben unvollendet, die fiktiven Protagonisten blieben quasi auf ewige Zeiten in ihrer Etappen und Irrungen hängen.

Letztlich in die Weltliteratur schaffte es Schwejk mit der Übertragung ins Deutsche durch die Prager Journalistin und Übersetzerin Grete Reiner, die dadurch auch als Urheberin des Böhmakelns in der Literatur bezeichnet werden darf. „Schwejk und seine Kumpanen sprechen ein Umgangs-Tschechisch, für das es in der hochdeutschen Sprache keine Entsprechung, keinen Dialekt gibt. Reiner sucht sich das Idiom, das die tschechischen Unterschichten verwendeten, wenn sie deutsch sprechen mussten. Also deutsch-österreichische Sätze, leicht verdreht durch die tschechische Grammatik, und veredelt durch die tschechische Aussprache. Humorfreie, aber politisch sehr korrekte Zeitgenossen stoßen sich ziemlich heftig an dieser Übersetzung, weil sie angeblich einen respektlosen Umgang mit der tschechischen Sprache und mit dem tschechischen Volk darstellt“, erklärte Referent Schnabl.

Aus dieser Übersetzung schuf der Schriftsteller Max Brod (ebenfalls deutschsprachiger Jude) eine Drama-Fassung, die der bekannte Theaterregisseur Erwin Piscator mit dem ebenfalls berühmten Sänger, Schauspieler und Komiker Max Pallenberg in Berlin auf die Bühne brachte - eine der teuersten Inszenierungen jener Zeit. Als Multiplikator wirkte der Journalist Kurt Tucholsky, der auch für den Roman warb. Das erfolgreiche Theaterstück wurde daraufhin auch in Paris aufgeführt, und von dort gelangte es (zurück) nach Prag - und in den Rang der Weltliteratur. Eine vor etlichen Jahren erschienene Neuübersetzung durch Antonín Brousek bezeichnete Schnabl als „hochdeutschen Aufguss, schmeckt wie alkoholfreies Bier“.

Nach Lipnitz, ins Grenzgebiet von Böhmen und Mähren, hatten Freunde Jaroslav Hašek kurz vor seinem Tod gebracht – hoffend, dass er sich dort auskuriert. Aber auch da gab es ein Wirtshaus … Am äußersten Rand des dortigen Friedhofs an der Friedhofsmauer ist er begraben. Die Ruhestätte ist heute natürlich ein Wallfahrtsort für Hašek-Freunde, die ihm gerne Bier ins Grab schütten. Das dortige Wirtshaus „Zur Böhmischen Krone“ wird übrigens von Hašeks Enkel bzw. Urenkel geführt.

Markus Bauer

Ein Teil der zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Kultur-Zoom über Jaroslav Hašek bzw. den Soldaten Schwejk.
Referent Arthur Schnabl bei seinem Vortrag.
Die Kulturarbeit der Ackermann-Gemeinde im Institutum Bohemicum wird gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales.