Weißwasser/Bílá Voda

Ganz persönliche Begegnung – mit einem Friedhof.

Es gibt nur einen Weg zu diesem Ort. Er schlängelt sich geradewegs nach Norden, unter den steilen Hängen des Reichensteiner Gebirges/Rychlebské hory hindurch, um hinter dem letzten Kamm des Massivs mit einer Schleife an der tschechisch-polnischen Grenze zu enden, wo zweimal täglich ein Bus abbiegt. Meistens leer. In das Grenzdorf Weißwasser kommen nicht viele Touristen. Vor zehn Jahren war ich dort auch der einzige Fahrgast, und der Fahrer warf mir einen misstrauischen Blick zu. Abgesehen von einem verlassenen Kloster gibt es in dem Dorf nur ein paar Häuser und ein psychiatrisches Krankenhaus. Ich bin nicht dorthin gegangen, obwohl das ehemalige Schloss von Marianne von Oranien, in dem das Krankenhaus untergebracht ist, einen Besuch wert gewesen wäre. Ich wollte noch etwas anderes sehen – den Friedhof von Weißwasser, auf dem 750 Nonnen aus verschiedenen Orden begraben sind. Sie wurden im Rahmen der so genannten „Aktion Ř“ hierher gebracht, mit der das kommunistische Regime in den 1950er Jahren seinen wichtigsten ideologischen Gegner, die katholische Kirche, loswerden wollte. Hunderte von Mönchen und Nonnen wurden in ausgewählte Klöster in den grenznahen Vertreibungsgebieten gebracht und dann zu harter Arbeit auf den Feldern, in den Wäldern oder in Fabriken eingesetzt und auf jede erdenkliche Weise schikaniert, damit sie bald „biologisch“ liquidiert werden konnten, wie die kirchlichen Sekretäre, die den Betrieb der Internierungsklöster beaufsichtigten, diesen Plan in zeitgenössischen Dokumenten nannten.

Es war keine glückliche Reise – ich kam in Weißwasser mit düsteren Gedanken an die vielen Geschichten von Ungerechtigkeit an, die ich in den Archiven gefunden oder von den Schwestern der Memoirenschreiber gehört hatte. Was ich dort sah, verschlug mir jedoch den Atem. Ein Obstgarten voller duftender Rosen, Lavendel und Gänseblümchen, umgeben von bescheidenen Grabsteinen mit Kreuzen, um die herum Insekten schwirrten und zwitschernde Vögel flogen, glich nicht einem Friedhof, sondern einem Paradies auf Erden. 

In den zehn Jahren, seit ich meinen letzten Roman geschrieben habe, bin ich in Gedanken immer wieder an diesen Ort zurückgekehrt. Ich wollte damit all den tapferen Nonnen Tribut zollen, die sich von vierzig Jahren Verfolgung nicht unterkriegen ließen und die trotz der Pläne ihrer Peiniger in Weißwasser ihren Frieden und die schönste letzte Ruhestätte fanden.

Kateřina Tučková